„Jeder hat Recht auf Wohnung“

Graulich-Stiftung und Haus St. Martin luden zu traditionellem Gänseessen ein

Kurt-Jochem Graulich (mitte) nahm selbstverständlich auch an dem Weihnachtsessen teil, das die Graulich-Stiftung gemeinsam mit dem Haus St. Martin am Autoberg ausgerichtet hatte.
(Foto: A. Kreusch)

HATTERSHEIM (ak) – Der 21. Dezember 2018 war für viele Wohnungslose, die wie an anderen Freitagen auch ihr Tagesgeld im Haus St. Martin abholten, ein besonderer Tag: Sie blieben gerne noch etwas länger als sonst, nicht nur, weil es dort warm und trocken war, sondern weil sie dort an diesem Tag an etwas teilnehmen konnten, was sie bei ihrer Art zu leben vermissen. Kurt-Jochem Graulich und die Graulich-Stiftung hatten sie zu einem wahres Festessen eingeladen. Zusammen mit ihm, Pastoralreferent Dr. Sebastian Schneider von St. Martinus und Klaus Störch, Leiter des Hauses St. Martin, konnten sie vor dem Genuss des Gänsebratens Weihnachten feiern. Dabei kam es ganz offensichtlich einigen von ihnen noch mehr auf die gemeinsam gesungenen Weihnachtslieder und auf die zusammen gesprochenen Gebete an, als auf den lecker duftenden Festbraten. Keiner der Gäste brauchte Textblätter für „O Tannenbaum“, alle sprachen andächtig das „Vater unser“ mit. Dabei konnten längst nicht alle einen Sitzplatz ergattern, viele standen noch in der offenen Tür.

Klaus Störch nutzte die Gelegenheit, sich zu Beginn der 17. Weihnachtsfeier im Haus St. Martin bei allen denen, welche die Einrichtung das ganze Jahr über unterstützen und vor allem auch bei denen, die dafür arbeiten, dass der Betrieb der Caritas-Facheinrichtung für Wohnungslose reibungslos funktioniert, zu bedanken. Dabei vergaß er nicht, auf das Problem der Obdachlosigkeit in der Gesellschaft aufmerksam zu machen und den Finger in die Wunde zu legen, die von der Politik seiner Meinung nach zu wenig beachtet wird. „Für dieses Jahr wird die Anzahl der Menschen, die in der Bundesrepublik wohnungslos sind, auf 1,2 Millionen geschätzt. Die Bundesrepublik ist ahnungslos über das Ausmaß der Obdachlosigkeit in unserem Land. Sie sieht in der steigenden Zahl der Wohnungslosen keinen Handlungsbedarf. Das muss man sich vorstellen: Eine Anzahl von Menschen in der Größenordnung der Bewohner von Köln spielt keine Rolle für die Politik!“, hielt er den Gästen vor Augen, „das ist skandalös und für alle diejenigen, die zurzeit keine eigene Wohnung haben oder sogar auf der Straße leben, ein Schlag ins Gesicht. Jeder Mensch hat ein Recht auf Wohnung!“

Störch empfindet die Wohnungslosenhilfe als „Seismograf politischer und sozialer Entwicklung in unserer Gesellschaft“, nach seiner Erfahrung „nimmt sie soziale Schieflagen sehr früh wahr“. Daher sei es ihre Aufgabe, die Verantwortung der Solidargemeinschaft und der Politik gegen Armutsentwicklung in der Gesellschaft einzufordern. „Soziale Arbeit erfordert immer auch politisches Engagement und Parteilichkeit für die Menschen am sogenannten gesellschaftlichen Rand“, findet Klaus Störch.

Einer der vielen Gäste gab Dr. Sebastian Schneider dann das Stichwort „O, hier ist ja doch noch ein Plätzchen frei für mich!“, welches genau zu seiner Weihnachtsansprache passte. „Das kennen wir alle, hier passiert es auch gerade wieder – wir kommen wo hin, wo kein Platz mehr für uns ist. Obdachlosen ist das Problem ganz besonders bekannt, es gibt keinen Platz für sie in unserer Gesellschaft.“ Wie Gott allen Menschen einen Platz gibt, wird in der Weihnachtsgeschichte aufgezeigt.

Auch Torsten Gunnemann, Geschäftsführer der Caritas Main-Taunus, wandte sich an die Gäste im Haus St. Martin. Zunächst schloss er sich den Dankesworten von Klaus Störch an alle Unterstützer und Helfer an. Dabei erzählte er schmunzelnd und unter Applaus, wie er während seiner Besuche von Veranstaltungen im Haus St. Martin beim Küchenteam, das dort jeden Mittwoch für warmes Mittagessen sorgt, lernen durfte, wie man Eisbergsalat richtig putzt und schnippelt.

Für Gunnemann kommt besonders in der Geschichte vom Weihnachtsmorgen, in der die Hirten, die den Messias zuerst gesehen haben, im Mittelpunkt stehen, zum Ausdruck, dass Gott keinen Unterschied macht, sondern dass für ihn „auch die kleinen Leute im Vordergrund stehen dürfen. Sie durften Jesus gleichsam auf Augenhöhe begegnen. Nicht die Theologen oder die Schriftgelehrten und auch nicht diejenigen, die in der Politik das Sagen hatten.“ Dass Gott sich schon bei der Geburt seines Sohnes denen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen, als erstes mitgeteilt hat, hält Gunnemann für eine klare Botschaft, die auch im Haus St. Martin gelebt werde. Auch, dass Jesus sich selbst später als den Guten Hirten bezeichnet habe, mache deutlich, wie wichtig ihm die Menschen waren, die verlorenen Schafen nachgehen und die alles tun, um die Herde zu beschützen. Er glaubt, dass das Haus St. Martin ein Ort ist, an dem Gott uns begegnet: „Und zwar nicht nur an Weihnachten, sondern das ganze Jahr über. Jede, Jeder ist anders, aber für alle gibt es hier einen Platz, eine offene Tür. Das stimmt mich als Christ hoffnungsvoll.“

Kurt-Jochem Graulichs Augen strahlten zufrieden, als er sah, wie sich beim zweiten von ihm spendierten Weihnachtsessen im voll besetzten Aufenthaltsraum des Hauses St. Martin die Menschen an der Gänsekeule, den Klößen und dem Rotkraut freuten. Ohne selbst viele Worte zu machen saß er mitten unter ihnen und hatte ganz offensichtlich nette und interessante Tischgespräche über Gott und die Welt, bei denen auch mal herzhaft gelacht wurde. Ob den Herren an seinem Tisch bewusst war, dass sie sich mit demjenigen unterhielten, dem sie den Festschmaus verdankten, war dabei gar nicht mal sicher – aber darauf kam es Kurt-Jochem Graulich auch gar nicht an, er freute sich einfach daran, helfen und Freude bereiten zu können.
 

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