"Ein Meisterstück unserer Geschichte und unserer Gegenwart"

75 Jahre Grundgesetz: Jubiläumsfeier im Haus St. Martin mit Lesung ausgewählter Artikel

Parallel zu den Klassikertagen fand am vergangenen Sonntag in Hattersheim noch ein weiterer bedeutsamer Termin statt: Unter dem Dach der Veranstaltungsreihe „Rhein-Main liest das Grundgesetz“ wurde dessen 75. Geburtstag auch im Haus St. Martin, der Caritas-Facheinrichtung für Wohnungslose, gefeiert. Unter dem Titel „Hattersheim liest das Grundgesetz“ kamen Menschen aus Politik und Gesellschaft zusammen, um ausgewählte Artikel vorzulesen. Und erfreulicherweise fand neben dem bunten Oldtimer-Trubel auch diese Akademische Feier ihr wohlverdientes Publikum; die Plätze im Haus St. Martin waren vollständig besetzt.

Magdalena Zeller, Projektleiterin von „Geist der Freiheit“ der KulturRegion FrankfurtRheinMain, führte als Moderation durch das Programm. Für die musikalische Untermalung sorgte Michael Zachcial, Mitglied der Künstlergruppe „Die Grenzgänger“. Die Jubiläumsreihe wird unterstützt von der Sebastian-Cobler-Stiftung für Bürgerrechte.

Nach der Begrüßung durch Ludger Engelhardt-Zühlsdorff, Vorstand des Caritasverbands Main-Taunus e.V., und Stadtverordnetenvorsteher Georg Reuter führte die Hessische Ministerin für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales, Heike Hofmann (SPD), in das Thema ein. Hofmann hatte im Rahmen ihrer parlamentarischen Arbeit schon diverse direkte Berührungspunkte mit dem Grundgesetz, war sie doch Mitglied sowohl in der Kommission nach Artikel 10 des Grundgesetzes als auch in der Artikel 13 Grundgesetzkommission. Artikel 10 regelt das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis, Artikel 13 schützt die die Unverletzlichkeit der Wohnung.

Die Ministerin erinnerte daran, dass das Grundgesetz vor 75 Jahren zunächst als Provisorium wahrgenommen wurde. Aus ihrer persönlichen Perspektive als Juristin und Staatsbürgerin stellt es für sie jedoch "ein Meisterstück unserer Geschichte und unserer Gegenwart" dar.

Exemplarisch hob sie die wunderbare Formulierung von Artikel 1 hervor: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Dieser Kernbestandteil des Grundgesetzes ist unverrüttelbar durch die Ewigkeitsklausel geschützt.

Und angesichts des Schauplatzes der Veranstaltung verwies Heike Hofmann auch auf Menschen, die in besonderer Art und Weise schutzbedürftig sind, nämlich Obdachlose. Sie finde es sehr bedrückend, dass auch in Hessen die Zahl der obdachlosen Menschen ansteige, aktuell sehen es aufgerundet etwa 23.000.

Hofmann richtete vor diesem Hintergrund auch den Fokus auf Artikel 13 des Grundgesetzes, hinter dem - neben der Unverletzlichkeit der Wohnung - auch der Gedanke stecke, dass eigener Wohnraum ein Menschenrecht sei. Besonders vulnerable Menschen müssen auch im Lichte dieses Artikels in den Blick genommen werden, so die Ministerin. Man müsse diese noch stärker schützen und noch stärker in den Blick nehmen, damit sie sich wirklich in der Obhut der Gesellschaft befinden und einen Weg ausmachen können, der sie aus dieser persönlichen Notsituation herausführen kann.

Dieses Ziel führte sie schließlich zu Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Das bedeute, dass der Staat die Verantwortung dafür hat, das soziale Wohlergehen seiner Bürgerinnen und Bürger zu fördern und diese zu unterstützen.

Gerade in diesen Zeiten, in denen ein Anstieg von Rechtspopulismus und -extremismus verzeichnet werden kann, müsse man das Grundgesetz nicht nur feiern, sondern auch stolz darauf sein und sich glücklich schätzen, dass man angesichts der aktuellen Bedrohungslage in der Welt in einem freien Rechtsstaat mit einer demokratischen Grundordnung leben dürfe. Dies sei ein Geschenk, das es aber auch zu verteidigen gelte, gab Heike Hofmann abschließend mit auf den Weg.

Artikel des Grundgesetzes im Fokus

Es folgte die Lesung ausgewählter Grundgesetzartikel, die sich die Vorlesenden jeweils selbst ausgesucht haben. Stadtverordnetenvorsteher Georg Reuter beispielsweise wählte Artikel 20 aus: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Flankiert wurde dies durch Artikel 20a, den die ehemalige Erste Stadträtin Karin Schnick präsentierte: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."

Für die Erste Stadträtin Heike Seibert fiel die Wahl auf Artikel 3. Die „Mütter des Grundgesetzes“, Friederike Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel, haben wesentlich darauf hingewirkt, dass auch die Gleichstellung der Geschlechter ihre Verankerung im Grundgesetz findet. In Absatz 2 heißt es sort: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Jener Artikel liegt Seibert besonders am Herzen, denn leider sei die Gleichberechtigung von Frauen und Männer auch im Jahre 2024 immer noch nicht in allen Lebensbereichen realisiert worden.

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