Der kürzeste Weg führt zum Sieg

Vanessa Wagner aus Okriftel gewinnt renommierte Wüsten-Rallye „Aïcha des Gazelles“ in Marokko OKRIFTEL (ak) – Wer die Geschäftsräume der

Die goldene Trophäe der Rallye „Aïcha des Gazelles“, den Helm mit Sprechfunkausrüstung, Kartenmaterial und Navigationswerkzeug auf dem Tisch, den unentbehrlichen Kompass und das „Goldene Sandblech“ um den Hals – so erzählt die Okriftelerin Vanessa Wagner anschaulich, begeistert und sehr interessant von ihrer erfolgreichen Rallye-Teilnahme in Marokko.
(Foto: A. Kreusch)

OKRIFTEL (ak) – Wer die Geschäftsräume der Firma Wagner GmbH in Okriftel betritt, wird sicher nicht gleich vermuten, dass die sympathisch lächelnde junge Frau, die einen dort begrüßt, nicht nur selbst Installateur- und Heizungsbauer-Meisterin (mit einem Abschluss als Jahresbeste ihres Berufes), sondern auch zusammen mit ihrem Vater Geschäftsführerin des Betriebes ist. Noch weniger wird ein Kunde oder Besucher damit rechnen, dass er dort mit Vanessa Wagner eine gestandene Wüsten-Rallye-Gewinnerin vor sich hat!

Die schon immer motorsportbegeisterte Okriftelerin, die sehr gerne auch auf der Rennstrecke Motorrad fährt und einen Oldtimer besitzt, bewarb sich schon im Jahr 2015 bei der Deutschen Handwerks Zeitung und konnte zusammen mit der Stuttgarter Goldschmiedemeisterin Viola Hermann bei der größten Frauen-Motorsport-Veranstaltung der Welt, der Rallye „Aïcha des Gazelles“, den dritten Platz erreichen. Nach diesem Erfolg wurde das so erprobte Ralley-Team in diesem Jahr wieder in der „Crossover“- Klasse mit einem Mercedes Vito 119 CDI dort auf die Strecke geschickt und konnte diesmal sogar die Siegtrophäe sowie noch einmal beeindruckende Erinnerungen mit nach Deutschland nehmen.

„Egal welche Tasche oder Kiste ich aufmache – es kommt überall immer noch Sand raus“, lacht Vanessa Wagner, während sie einen Teil ihrer Erinnerungen wie Karten, Kompass, Navigationswerkzeug, Helm und natürlich die tolle Trophäe mit dem Gazellenkopf auf dem Tisch im heimatlichen Betrieb ausbreitet. Als sie sich die ebenfalls total „versandete“ grüne Teilnehmer-Weste noch einmal überstreift, denkt sie versonnen nach: „Jetzt kann ich die aber noch nicht waschen, dazu ist alles noch zu frisch – vielleicht irgendwann später mal.“ Die Erinnerungen an die anstrengenden und schönen Rallye-Tage, die sie vom 18. März bis 3. April 2016 zum zweiten Mal (diesmal neben 164 anderen Teams) quer durch Marokko von Erfoud nach Foum Zguid geführt hatten, wo es über 2.500 Kilometer unter anderem durch ausgetrocknete Flussbette und durch die Dünen der westlichen Sahara-Ausläufer geht, sind noch sehr lebendig. Die junge Frau gerät schnell ins Schwärmen, wenn sie davon erzählt. „Jetzt bin ich wohl endgültig vom Rallye-Virus befallen“, stellt sie lachend fest.

Weil sie schon 2015 als Beifahrerin zusammen mit der Fahrerin Viola Hermann ein so gutes Ergebnis erzielt hatte, wurde das Team auch 2016 noch einmal von seinen Sponsoren, der Deutschen Handwerks Zeitung und Mercedes Benz, mit dem eigentlich ja einem typischen „Handwerker-Auto“ Mercedes Vito, der aber natürlich mit „Käfig“, verstärktem Allrad-Fahrwerk, Unterbodenschutz, perfekt angepassten Sitzen und einigem mehr „rallyetauglich“ ausgerüstet war, zu der neuntägigen Wüsten-Rallye unter der Schirmherrschaft des Marokkanischen Königs gemeldet. Dort wird nicht wie bei uns auf bequemen Straßen und Wegen gefahren, meist müssen sich die Teams ihren Weg selbst suchen. „Wir navigieren dabei dort ganz ohne GPS – nur mit einem Kompass und der Karte“, erklärte Vanessa Wagner, „unsere Autos sind zwar durch ein Notfall-GPS auf dem Dach gesichert, damit wir nicht verloren gehen können, aber den Weg müssen wir uns selbst suchen. Wir hatten zwar einen Kurs mit viel Theorie im Navigieren vorher besucht, aber in der Praxis, wenn man dann die Peilung mit dem Winkelmesser auf die Karte übertragen muss, sieht das alles doch wieder ziemlich anders aus!“

Das tägliche „Roadbook“ und die Karte geben den Teams pro Tagesetappe mehrere in vorgeschriebener Reihenfolge anzufahrende „Checkpoints“ mit Koordinaten in Längen- und Breitengraden sowie die diese Orte verbindende Ideallinie an; jeder Kilometer, den die Teilnehmer von dieser Ideallinie abweichen, führt zu Strafpunkten. Es gewinnt also nicht das schnellste Auto, sondern das Team, welches die kürzesten Wege fährt. Um die Strecke zu dokumentieren, sind die Fahrzeuge mit besonders genauen Messgeräten ausgerüstet. Durch dieses Wertungssystem hat die Navigatorin eine große Verantwortung im Team, sie muss oft schnellstmöglich die richtigen Entscheidungen für den Weg treffen. „Die kürzestmögliche Route durch das schwierige Gelände zu finden, das ist das Ziel“, erklärt Vanessa Wagner – daher muss ein guter Navigator immer auch alle Anhaltspunkte im Gelände im Auge behalten. „Man kann tatsächlich auch nach Sanddünen navigieren“, erinnert sich Vanessa Wagner schmunzelnd, „das hätte ich vorher selbst gar nicht gedacht.“

Obwohl die Teams nicht auf Zeit fahren, gibt es doch auch „Zeitstress“, denn alle Fahrzeuge müssen bis zum Eintritt der Dunkelheit das Biwak beim letzten Checkpoint erreicht haben – kommt man zu spät, gibt es „Strafkilometer“. „Im letzten Jahr war das für uns noch ein Thema, aber dieses Jahr haben wir das immer gut geschafft, vor der Dunkelheit anzukommen“, strahlt Vanessa Wagner, „und es gibt auch zwei „Marathon-Etappen“ während der Rallye, bei denen man dann in der Wüste übernachtet. Das war wirklich wunderschön, wir konnten ja dann auf dem Autodach vom Vito übernachten, in den tollen Sternenhimmel sehen und die beeindruckende Ruhe in der Wüste so richtig spüren – das ist unvergesslich!“

Sandsturm mit „null Sicht“
Sie erinnert sich aber auch noch an das beklemmende Gefühl im letzten Jahr, an die Gedanken daran, ohne Telefon, ohne GPS, ohne Verbindung zur Welt in der grellen Sonne und Tageshitze oder den Temperaturen nahe Null Grad in der Nacht in der einschüchternden Einsamkeit der Wüste unterwegs zu sein. „Da denkt man schon manchmal: Schaff ich das auch wieder aus der Wüste raus, das war im letzten Jahr bei uns auch so“, sinniert sie.

Auf der Strecke sind die Teams völlig sich selbst überlassen, die die Rallye begleitenden Mechaniker dürfen nur abends in den Biwaks die Fahrzeuge betreuen, nach dem Start am frühen Morgen trifft man aber oft über Stunden niemanden mehr – erst auf dem Weg zum Biwak sind wieder mehr Fahrzeuge auf dem gleichen Weg. „Aber die Teilnehmer dürfen untereinander schon helfen – und das macht man auch, wenn man auf der Strecke jemanden trifft, der Schwierigkeiten hat. Wir haben sogar einmal ein Team aus der 4x4-Klasse aus einer Sandpit gezogen“, erzählt die Rallye-Gewinnerin. „Keiner hat geglaubt, dass wir das mit unserem Vito ohne Untersetzung und Sperre und mit weniger Bodenfreiheit als die anderen schaffen – aber es ist erstaunlich, was man mit so einem Auto alles machen kann! Und es hilft natürlich schon auch, wenn man handwerklich begabt ist.“

Eines der Erinnerungsbilder, die Vanessa Wagner mit leuchtenden Augen anschaut – natürlich auch solche mit traumhafter Wüstenkulisse, Palmen und Kamelen – zeigt sie neben dem Auto beim Anpassen des Reifendrucks. „Ja, auch das gehört dazu: gefühlte hundert Mal pro Tag aussteigen und den Reifendruck dem Untergrund anpassen. Der Druck muss stimmen, wenn man auf Sand oder Schotter fährt. Aber Viola und ich sind ein eingespieltes Team, wir haben das immer schnell hingekriegt, auch bei den abendlichen Formalitäten und dem Tanken hatte jede von uns ihre Aufgaben. Beim Fahren habe ich immer versucht, ihr meine Navigation an der Umgebung und am Horizont zu erklären – und dabei habe ich gemerkt, dass sie das zwar hörte, aber dass ihre Augen immer ganz konzentriert auf den Boden etwa 50 Meter vor uns gerichtet waren. Wenn der Untergrund sich änderte – man kann irgendwann erkennen, ob der Sand fest genug ist oder nicht – dann musste sie ja sofort reagieren. Wir sind auch manchmal ausgestiegen und haben spitze Steine oder Geröll aus dem Weg geräumt, bevor wir weitergefahren sind.“

Ein für das Team sehr beeindruckendes Erlebnis in diesem Jahr war ein Sandsturm, der den feinen Wüstensand auch in die letzten Ecken des Autos und der Ausrüstung blies. „Das sah schon am Morgen im Biwak sehr merkwürdig aus: Alle Teilnehmer hatten dicke Wollmützen, Schals und Skibrillen auf, man kam sich gar nicht vor wie in der Wüste, sondern eher wie auf einer Skihütte – aber das ist das einzige, was vor dem Sand schützt“ erinnert sich Vanessa Wagner schmunzelnd, „die Tages-Strecke sind wir dann weitgehend nur nach dem Kompass gefahren – dabei waren etwa 10 Kilometer über einen ausgetrockneten Salzsee mit wirklich null Sicht!“
Trotz der volle Konzentration erfordernden Strecke hat das Team bei ihren Stopps in der Wüste auch immer wieder Menschen getroffen. „Man denkt, man steht alleine in der Wüste und plötzlich kommt jemand“, erinnert sie sich, „aber sie haben uns immer freundlich empfangen und wir haben uns immer sicher gefühlt. Kinder fragen oft nach Süßigkeiten oder nach Wasser, einmal kam ein Mädchen und hat uns nach Malstiften und Papier gefragt – sie war ganz glücklich, als wir ihr dann tatsächlich ein paar Stifte schenken konnten.“

Traum vom „Silkway“
Neben solchen menschlichen Erfahrungen in der Wüstenlandschaft Marokkos konnte Vanessa Wagner aber auch viele schöne Erinnerungen an festliche Momente – wie etwa die Abschlussgala und den Korso durch den Schlussort – mit nach Hause nehmen.
„Die Rallye ist vor allem auch in Frankreich – die meisten Teilnehmerinnen sind von dort – sehr bekannt und wird da in der Öffentlichkeit sehr verfolgt“, weiß sie nun. „Dort ist es leichter, Sponsoren für die Teilnahme zu bekommen, hier bei uns ist das sehr schwer. Allein das Startgeld ist schon sehr hoch, und ein entsprechend umgebautes Fahrzeug braucht man natürlich auch, das werde ich mir wohl nicht leisten können.“ Einen monetären Gewinn konnten die erfolgreichen Teams der Rallye Aïcha des Gazelles nämlich nicht mir nach Hause nehmen, die Preisgelder wurden alle gespendet. Lediglich die Trophäe und ein „Goldenes Sandblech“ (von Vanessa Wagner mit Stolz um den Hals getragen) sind die materiellen „Überbleibsel“ der tollen Rallye-Teilnahme. Trotzdem träumt Vanessa Wagner nun natürlich von einer Teilnahme an weiteren großen Wüsten-Rallyes wie der Rallye Dakar oder der Silkway-Rallye von Moskau nach Peking. „Solche Veranstaltungen prägen und verbinden die Menschen, die an so was schon mal teilgenommen haben“, schwärmt sie. „Die Atmosphäre dabei ist einfach sehr spannend und unheimlich interessant!“
Dass sie im Oktober als Co-Pilotin mit einem Oldtimer-Mercedes 180 der S-Klasse an der „Carrera Panamericana“ in Mexiko teilnehmen kann, verdankt sie dem Zufall, sie hat den Eigentümer, der noch eine Beifahrerin suchte, auf einer Motorsportmesse getroffen.

 

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