Ohne Massenprotest keine Überzeugungskraft

Bürgerversammlung zum Thema Fluglärm – Zahlreiche Wortbeiträge, eine Fülle an Informationen, aber auch ernüchternde Fakten

HOCHHEIM (ak) – Am 25. Januar hatte die Stadt Hochheim zur Bürgerversammlung zum Thema Fluglärm in die Georg-Hofmann-Halle eingeladen. Es hätten sicher noch mehr protestierende Menschen in der großen Sporthalle Platz gehabt, aber immerhin etwa 500 Hochheimer Bürger nahmen an der Versammlung teil. Eingestimmt auf das Thema wurden sie – sofern das überhaupt notwendig war – mit einem Video des „Flughafen-Protestsongs“ von Heribert Schlosser. In ihrer Hochheimer Sprache und mit ihren Hochheimer Worten gibt er als stellvertretender „Fluch-Wutbirscher“, und von der Versammlung mit großem Beifall bedacht, den Politikern zu verstehen: „Losst uns die Nacht in Ruh‘ – mir verlange des partout!“ 

 

Stadtverordnetenvorsteher Egbert Ophey hob in seiner Begrüßung hervor, welchen Einschnitt das Datum der Eröffnung der Nordwest-Landebahn für Hochheim und seine Einwohner bedeutete, er und viele andere Hochheimer sehen durch den danach über ihrer Stadt herrschenden Fluglärm das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht mehr gewährleistet. Mit Genugtuung stellte er fest, dass durch die seitdem anhaltenden, lauten Proteste aus der Region die Politiker mittlerweile nun doch „nervös reagieren“. Um den Druck auf die Politik noch mehr zu verstärken, rief er alle Anwesenden zur Teilnahme an den seither regelmäßig stattfindenden „Montags-Demos“ auf und appellierte, auch die für den 4. Februar 2012 um 12 Uhr am Terminal 1 geplante Groß- Demonstration zu besuchen. 
Auch Bürgermeisterin Angelika Munck reihte sich mit ihren Worten nahtlos ein in die Reihen derer, die weiter gegen den Fluglärm kämpfen wollen. Sie freute sich, dass so viele Hochheimer durch ihre Präsenz auf Protestveranstaltungen „Flagge zeigen“ und für eine weiterhin „liebens- und lebenswerte Region“ kämpfen wollen, in der auch ein ruhiger Besuch in einer Straußwirtschaft noch möglich bleiben soll. 
Nachfolgend sollte der Abend mit einer Menge an Information zum bisherigen Ablauf der Flughafenerweiterung, zur tatsächlichen durch Fluglärm beeinträchtigten Lernsituation der Kinder in der Weinbergschule, zu Lärmstudien, zu Flugbewegungen, Flugverfahren und Flugrouten, zum Flugmonitoring und zu juristischen Aspekten des Verwaltungsgerichtsverfahrens gegen den Bau und den Weiterbetrieb der neuen Landebahn gefüllt werden. Es zeigte sich jedoch, dass allein die mehr oder weniger kämpferischen Ansprachen von Vertretern der Bürgerinitiativen so viel Zeit in Anspruch nahmen, dass es nahezu unmöglich wurde, all diese Vorträge ungekürzt in den zeitlichen Rahmen der Bürgerversammlung zu bringen. Vielleicht ist auch bei den an der Versammlung teilnehmenden Bürgern durch das eigene hautnahe Erleben der Lärmsituation seit der Eröffnung der neuen Landebahn der Bedarf an theoretischer oder wissenschaftlich begründeter Information nicht mehr ganz so hoch wie für die beteiligten Juristen und Politiker – wenn man den Lärm ertragen muss, spielt es eine untergeordnete Rolle, wie er entsteht, was er wissenschaftlich ausgewertet bewirkt und warum man theoretisch nichts dagegen machen kann. Trotzdem konnten die Zuhörer den zum Teil stark gekürzten oder sehr schnell „abgearbeiteten“ Vorträgen einige Kern-Informationen entnehmen. Es sei zum Beispiel nicht nur ein subjektiver Eindruck der einzelnen Menschen, dass Fluglärm ihr Leben beeinträchtigt und Kindern das Lernen erschwert, es gebe dazu tatsächlich schon Untersuchungen. Ein weiteres „ungehemmtes“ Wachstum des Flughafens berge über die Lärmbelastung für die Region auch weitere Risiken, zum Beispiel im Hinblick auf die Treibstoffversorgung. Auch seien Lösungen hinsichtlich der Lärmentlastung bei An- und Abflug möglich (Point-Merge-Verfahren), selbst wenn sie nicht viel Effekt zeigen würden. Man könne des Weiteren heute Flugbewegungen mittels genauer Lärmmessung zuordnen und sie im Internet sichtbar machen (www.dfdl.de). Die zur Ermittlung der Lärmbelastung gebräuchliche Art der „Lärmmittelung“ sei zudem eine Methode, um aus stündlichen Pistolenschüssen über den Tag gemittelt den Geräuschpegel eines plätschernden Baches zu machen.
 Einige der Redner wiesen auch darauf hin, warum es für das Nachtflugverbot so wichtig sei, dass § 29 b des Luftverkehrsgesetztes nicht aufgeweicht wird und welche Gefahr für den Lärmschutz von Menschen in Flughafennähe von den geplanten neuen EU-Verordnungen ausgehe.
 Im letzten (Kurz-)Vortrag des Abends stellte selbst der von der Stadt Hochheim in der Sache beauftragte Münchner Jurist Dr. Martin Schröder klar, wie wichtig bei alledem aber der Bürgerprotest gegen den Fluglärm sei – und wie sehr er ihn schon vor zehn Jahren, zu Beginn des Planfeststellungsverfahrens, vermisst habe: „Es fällt einem einzelnen Anwalt eben sehr schwer, ein Gericht davon zu überzeugen, dass tausende Menschen beeinträchtigt sind.“ Überzeugungskraft sei jedoch dringend notwendig, denn das Deutsche Planfeststellungsrecht stamme aus einer Zeit, in der die Eisenbahn den Weg zur industriellen Erschließung des Landes ebnen sollte und man dafür in Kauf genommen habe, die Rechte der Bürger hinter die Rechte der Wirtschaft zu stellen. Dr. Schröder sieht als Jurist zwar die Möglichkeit der Stilllegung der neuen Landebahn (vor allem auch wegen des von ihm so genannten „hohen Fukushima-Faktors“, mit dem Gefahren wie beispielsweise Vogelschlag im Bereich der Einflugschneise gemeint sind), hält sie realistisch betrachtet aber nicht für wahrscheinlich.
Viele Fragen hatten die Hochheimer Bürger nicht mehr an die anwesenden Experten. Dr. Schröder erklärte auf Nachfrage von Andrea Fender nach dem Begriff „Sofortvollzug“, warum die historisch bedingten Besonderheiten des Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahrens es einem Flughafenbetreiber möglich machen würden, schon vor Abschluss eines eventuellen Gerichtsverfahrens eine Landebahn zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Die Frage aus den Reihen der Bürger, ob man denn einen Piloten, der von der vorgeschriebenen „Ideallinie“ beim Anflug abweicht, irgendwie „belangen“ könnte, beantwortete er mit einem juristisch typischen „ja, aber“ – es gebe zwar einen Bußgeldtatbestand, der durch solche eigenmächtigen Abweichungen vom vorgeschriebenen Flugkurs erfüllt sein könnte, aber in den meisten Fällen liege eine sogenannte „Flugverkehrskontrollfreigabe“ durch einen Fluglotsen vor, und diese juristisch überprüfen zu lassen, sei relativ aussichtslos. Allerdings rät Dr. Schröder dem Fragesteller, in besonders argen Fällen den Antrag zur Überprüfung zu stellen und damit zumindest ein Ermittlungsverfahren in Gang zu setzen. Die Frage von Petra Reichelt brachte zum Ausdruck, dass der eine oder andere Bürger die Hoffnung doch noch nicht aufgegeben hat, dass durch andere Anflugverfahren die Lärmbelästigung vermindert werden könnte – sie wollte genau erklärt haben, was „kontinuierlicher Sinkflug“ ist, ob dieses Verfahren im Anflug auf die neue Landebahn möglich ist und ob das überhaupt ausprobiert wird. Auch hier war die Antwort des Experten ernüchternd: „Segelflug“ im Anflug auf eine Landebahn könne wegen der starken Frequenz am Tage nicht praktiziert werden, er sei nur nachts möglich. Trotzdem seien inzwischen mehr als 100 Methoden bekannt, Fluglärm zu reduzieren, der Druck durch protestierende Anwohner führe vielleicht in Zukunft doch dazu, zum Beispiel durch geschickteres Setzen der „Point Merges“ Lärmerleichterung zu schaffen. 
Auf dem Nachhauseweg konnten sich alle Versammlungsteilnehmer im Foyer der Sporthalle dann reichlich mit Aufklebern und Plakaten der relativ neuen Hochheimer Bürgerinitiative „Gegenwind 2011“ eindecken. Den Initiatoren von „Gegenwind 2011“ ist es einiges wert, dass möglichst viele Bürger ihre Parolen öffentlich zeigen und damit vielleicht helfen, ihren Mitbürgern und deren Kindern Lärmbelastung zu ersparen. Plakate und Aufkleber bekommt man kostenlos, die größeren – für Hauswände, Tore oder Zäune gedachten – Banner werden zum Selbstkostenpreis abgegeben.
Für alle, die den einen oder anderen Vortrag noch einmal ungekürzt nachlesen wollen: im Internet unter www.hochheim.de/Buergerservice/Aktuelles findet man einen Link zu weiteren Informationen.

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