Ab und zu ein Hilfeschrei

Weingartenschule: Erste Erfahrungen im Wechselunterricht / Freude über mehr Normalität im Schulalltag

Präsenzunterricht in der Klasse G5a von Lehrer Thomas Preußer.

Seit Montag, den 22. Februar, darf ein Teil der Schülerinnen und Schüler in der Weingartenschulein wieder persönlich die angestammten Klassenräume betreten, denn für die 5. und 6. Klassen findet dort Präsenzunterricht statt. Allerdings nur in kleinen Gruppen, die wöchentlich wechseln.

Sichtbar wird das neue Unterrichtskonzept auch an dem rotweißen Absperrband am Treppenaufgang, der die Schule in zwei Hälften teilt: Eine aktive und eine inaktive. Da wird gleich anschaulich, wie der seit Ende Februar erlaubte Wechselunterricht funktioniert. Eine Woche ist die eine Hälfte der Klassen in der Schule präsent, während die andere Hälfte zu Hause Distanzunterricht erhält. In der darauffolgenden Woche ist es dann umgekehrt.

Getrennt läuft es besser

Konkret heißt das in der Deutschstunde der R5c mit Lehrerin Henrike Wolf, dass 14 Kinder in der Klasse sich die Themen Märchen und Zeitformen des Verbs erarbeiten. Die anderen 14 haben von Wolf ein Buch als Lektüre zu Hause als Aufgabe. Eine Woche vorher hatte die Lehrerin noch versucht, ihre Deutschstunde mit allen zusammen zu gestalten. 14 Kinder online und gleichzeitig 14 live sozusagen. „Aber das hat nicht funktioniert“, erläutert sie, „die Kinder waren zu abgelenkt“. Eine Doppelbelastung für alle Beteiligten. Die Lehrerin konnte sich nicht angemessen um alle Kinder kümmern. Halb und halb seien doch die Lerninhalte wesentlich besser zu vermitteln. Schülerin Jule gibt ihr Recht: „Ich lerne hier mehr als zu Hause.“ Andere Kinder fügen in der Klassendiskussion hinzu, dass sie lieber ein konkretes Ziel vor Augen haben. “Es ist besser, wenn man weiß, dass man in der Schule Unterricht hat.“

Schule gewinnt – Bildung hilft

Alle in der Schule tragen OP- oder FFP2-Masken. Die vorher teils selbstgefertigten und bunt bedruckten Stoffmasken sind mittlerweile tabu. Auf Nachfrage spricht sich die große Mehrheit für die medizinischen Masken aus. „So kann das Virus besser weggehen“, glaubt Noah und Valerio ergänzt, „besser Luft bekomme ich auch“. Der Wechselunterricht wird gelobt. Endlich sehe man sich wieder und zu Hause würde man eben lesen und Arbeitsaufträge abarbeiten. Es sei schöner in der Schule, erklärt auch Tom: „Ich bin an meine Lehrer gewöhnt.“ Am Ende der Stunde gibt es eine Abstimmung: Der Präsenzunterricht erhält die volle Punktzahl.

So gesehen haben es die Kinder in Alfonso Calabros Hauptschulklasse H5a richtig gut. Sie sind ja nur insgesamt zehn Schüler und haben jetzt jeden Tag normalen Präsenzunterricht. „Wie früher“, meint Vasilika. Umaiah, ursprünglich aus Eritrea, ist dankbar, wieder jeden Tag in der Schule sein zu dürfen. Zu Hause habe er jeden Tag mit seinen Eltern nur auf Eriträisch geredet. „Das fühlte sich schon so an, als könne ich kein Deutsch mehr“, merkt er an. Dieses Gefühl teilen nicht wenige in dieser Klasse in der Zeit des Distanzunterrichts. Zu Hause werde eben die Sprache der Eltern gesprochen, das helfe nicht unbedingt.

Lehrer Calabro, selbst mit Migrationshintergrund, weiß, wie wichtig es für die Kinder ist, regelmäßig Deutsch zu sprechen. “Bildung ist einfach unersetzlich für eine gelungene Integration“, hat er selbst erfahren. Erschwerend komme hinzu, dass im Distanzunterricht die Kinder generell mehr am Computer säßen. In seiner Klasse outen sich auf Nachfrage die Hälfte als Computerspieler, die zur Zeit des Distanzunterrichts deutlich mehr Zeit am Bildschirm verbracht haben.

Hausbesuche und Tipps im Freizeitpark

Kann man das auf alle Kinder beziehen? Schulsozialarbeiterin Viola Schaade hat da ihre ganz eigenen Beobachtungen. So gab und gibt es zahlreiche Anrufe und E-Mails von besorgten Eltern, die ihre Kinder nach der langen Zeit des Online-Unterrichts weiterhin gut motivieren wollen. Da sei sie auch schon mit Maske und Abstand in den Freizeitpark gegangen, um die Eltern zu beraten und zu unterstützen.

Als weiterer Schwerpunkt in der Arbeit der letzten Monate habe sich das „Aufspüren“ von Schülern und Schülerinnen herauskristallisiert. Denn so manche seien in digitalen Zeiten der Pandemie im Internet abgetaucht. Sie waren dann für ihre Lehrer nicht mehr greifbar. Einige Hausbesuche - manchmal zusammen mit der Klassenleitung - hätten sich da als sehr hilfreich erwiesen. „In diesen Zeiten ist es enorm wichtig, dass Lehrkräfte und Eltern an einem Strang ziehen“, betont die Sozialarbeiterin.

Die Freude groß

Natürlich sind fast alle froh, dass sie wieder in die Schule dürfen. Das gilt auch für Englischlehrer Thomas Preußer. Denn wenn auch seine G5a in den sechs Wochen des reinen Onlineunterrichts sehr vorbildlich mitgearbeitet habe („Meine Klasse war auf Zack“), sei der Präsenzunterricht nicht zu toppen: „Der Sprachumsatz im Fremdsprachenunterricht ist einfach höher, Korrekturen und Feedback schneller gegeben, wenn Gestik und Mimik sichtbar sind“, zieht er Bilanz. Schüler Lennart stimmt zu: „In der Klassengemeinschaft zu lernen ist einfacher.“ Und Clara ergänzt: „Der echte Lehrer erklärt ausführlicher.“ Oberstudienrat Preußer sieht viel Positives. Er merke, dass den Kindern normaler Unterricht sehr gut tut. Und manchen Eltern eben auch. „Meine Eltern sind im Homeoffice und waren froh, dass ich sie nicht mehr genervt habe“, gibt Lasse unumwunden zu.

Manche leiden

Wie die Elternschaft generell auf die neue Schulsituation reagiere, erklärt Elternbeiratsvorsitzende Melanie Hirt. Alle seien froh, wieder ein Stück Normalität zu bekommen. Denn auch wenn der Online-Unterricht an der WGS sehr gut organisiert sei, komplett ersetzen könne er den Präsenzunterricht definitiv nicht.

Einige Familien hätten zurückgemeldet, dass gerade ältere Geschwister seelisch angeschlagen wirkten, bemerkt Melanie Hirt. Als eine Art Hilfeschrei habe sie die Aussage eines Neuntklässlers „Ihr wisst gar nicht, wie ich mich fühle“ aufgeschreckt. Bei vielen werde es eben umso belastender, je länger der reine Onlineunterricht laufe.

Immerhin kann sich die WGS jetzt um die kümmern, die vor Ort anwesend sind. Schuldirektorin Elke Wetterau-Bein, die auch selbst Distanzunterricht in ihrem Fach Chemie erteilt, habe aus diesem Grund jede Klasse am Anfang der Woche besucht und den Schülern Mut zugesprochen. „Wir alle wollen, dass es wieder besser läuft“, betont Wetterau-Bein. Es sei eben ein verflixtes Schuljahr. Lernlücken zu schließen, sei jetzt oberstes Gebot. Automatische Versetzungen wie am Ende des vergangenen Schuljahres halte sie jedoch für „eine Katastrophe“. Und schiebt sofort die Begründung nach: „Da ist bei leistungsschwachen Schülern das Scheitern im neuen Schuljahr vorprogrammiert.“

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