Über die Eisenbahn wird in diesen Tagen viel geschimpft. Darüber vergisst man gern, dass vor ihrer Einführung der Transport von Mensch und Waren per Pferdefuhrwerk auch nicht einfach war. Deshalb zitierte Wilfried Krementz zum Auftakt seines sehr informativen Vortrages „Wie die Eisenbahn nach Kriftel kam“ am 16. Oktober einen Fuhrmann, der Anno 1802 eine Fuhre von Kriftel nach Frankfurt brachte. Dieser stellte fest: „Dies war zum Gotterbarmen beschwerlich“.
Aber von Anfang an: Seit einiger Zeit lädt die AWO Kriftel zweimal jährlich zu Vorträgen ins Rat- und Bürgerhaus Kriftel ein. Einer zu Themen rund um die Pflege und einer zur Heimatgeschichte. Dieses Mal war das Thema Eisenbahn dran. Der frühere Krifteler Gemeindearchivar Wilfried Krementz führte zunächst aus, dass im Zuge der industriellen Revolution in der Rhein-Main-Region schon recht rasch ein Eisenbahnnetz aufgebaut wurde. Frankfurt war seit 1839 Eisenbahnstadt und Knotenpunkt für mehrere Strecken, die alle von verschiedenen Gesellschaften betrieben wurden. Die Strecken führten in wirtschaftlich wichtige Gebiete wie nach Wiesbaden und Mainz. Die zu diesen Zeiten herrschende Kleinstaaterei erschwerte jedoch die Erschließung einiger Gebiete. So wundert es nicht, dass eine Bahnstrecke von Frankfurt nach Limburg, die auch das zum Herzogtum Nassau gehörende Kriftel anbinden konnte, erst nach Gründung des Deutschen Reichs 1871 projektiert wurde. Der Vertrag wurde mit der „Hessischen Ludwigsbahn“ geschlossen, die die Main-Lahn-Linie betreiben sollte. Zunächst mussten die für die Anlage notwendigen Grundstücke erworben werden. Krementz schilderte, wie zunächst die Gemeinde, dann auch Privatleute angesprochen wurden und wie schwierig sich die Verhandlungen gestalteten – bis hin zu Enteignungen und Gerichtsverfahren. 1877 wurde die Strecke dann endlich eröffnet – eingleisig zunächst – und schickte immerhin täglich vier Züge in jeder Richtung los. 1895 verstaatlichte Bismarck das Eisenbahnwesen und richtete in Frankfurt eine Preußische Bahndirektion ein.
Das 1877 errichtete Bahnhofsgebäude in Kriftel war offenbar sehr schlicht und gab viel Anlass zu Kritik über das „Holzhäuschen“ von Seiten der Gemeinde, aber auch aus der Bürgerschaft. Die Bahn sah es jedoch offenbar als ausreichend an und lehnte einen Anschluss an die öffentliche Wasserleitung, die 1912 möglich gewesen wäre, sowie an das Stromnetz ab. Das Wasser aus dem öffentlichen Brunnen auf dem (teils sehr matschigen) Vorplatz und blakende Petroleumlampen hatten zu genügen. Der sehr rührige Bürgerverein 1912, dessen Hauptziel die „Verschönerung Kriftels“ war, kämpfte vehement für ein neues Gebäude, fuhren doch täglich rund 500 Leute aus Kriftel mit der Bahn – natürlich 3. und 4. Klasse, noch war Kriftel ein bescheidenes Bauerndorf. Bürgermeister Sittig machte sich dagegen Sorgen um das Erscheinungsbild der Gemeinde. Die Bemühungen hatten Erfolg: 1913 wurde der Bau eines neuen Gebäudes genehmigt. Durch den Ersten Weltkrieg wurde daraus nichts, genauso wenig wie aus den Plänen von 1923. Hier kam die Inflation dazwischen. Erst 1936/37 wurde schließlich ein neues Gebäude errichtet, das allen Komfort bot, einschließlich eines überdachten Bahnsteigs. Selbst das Höchster Kreisblatt lobte in einem Artikel, wie „schnuckelig“ sich der Bau präsentierte.
In Kriftel gab es mehrere Bahnübergänge, die schon bald so stark frequentiert waren, dass bereits 1904 eine Brücke über die Gleise geplant wurde. Auch hier dauerte es durch den notwendigen Grundstückserwerb ein paar Jahre, bis das Projekt umgesetzt werden konnte. 1912 wurde die Eisenkonstruktion, an die viele in Kriftel sich noch gut erinnern, in Betrieb genommen. Sie sollte rund 90 Jahre halten, bis sie aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens marode wurde und 2003 zunächst gesperrt und später durch eine neue ersetzt wurde.
Wilfried Krementz ging auch noch auf die „Epoche der Deutschen Bundesbahn“ ab 1951 ein, in der die Strecke durch Kriftel 1970 elektrifiziert wurde. Mit der gleichzeitigen Einführung der S-Bahn verlor das Bahnhofsgebäude seine Funktion und wurde 1980 in ein Kulturzentrum umgewandelt. Heute ist es im Besitz der Gemeinde und beherbergt die Gemeindebücherei.
Das Publikum – rund 50 interessierte Gäste – spendete großen Applaus an Wilfried Krementz und nahm in der anschließenden Diskussions- und Fragerunde gerne die Gelegenheit war, sich einzubringen. Dabei wurde viel Kritik an der derzeitigen Bahn laut und neben Unpünktlichkeit und Zugausfällen auch die häufigen Ausfälle des Aufzuges angesprochen. Im Gegensatz zur Bahn erhielt der Redner viel Lob für diesen gründlich recherchierten, interessanten Vortrag.

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