Viele würden gerne schon mit 16 „richtig“ wählen gehen

Interessantes Stimmungsbild bei der U18-Wahl an der Krifteler Weingartenschule und im Freizeithaus

Ein letzter Blick auf die Positionen der Parteien vor der Stimmabgabe. Eine Stellwand vor dem Wahllokal lieferte die nötigen Informationen.

Der Sänger Herbert Grönemeyer hatte einst in einem seiner bekannten Songs „Kinder an die Macht“ gefordert. Am Freitag, den 17. September, durften in Kriftel alle Kinder und Jugendlichen unter 18 schon einmal dafür üben. In der Aula der Weingartenschule (WGS) und im benachbarten Freizeithaus durfte jeder, der wollte, sein Kreuzchen bei der Partei seiner Wahl machen. Geheim und freiwillig, wie in einer Demokratie üblich. Alle Nationalitäten waren zugelassen: Denn nach Artikel 2 der Kinderrechtskonvention hat sich Deutschland dazu bereit erklärt, alle im Land anwesenden Kinder und Jugendlichen gleich zu behandeln. Vollkommen egal sind deshalb Herkunft, Status, Religion, Geschlecht, Sprache, Hautfarbe und so weiter.

Die Idee zu U18 entstand 1996 in einem Jugendtreff in Berlin und verbreitete sich schnell im ganzen Land. Bei der ersten U18-Wahl 1996 gab es ein einziges Wahllokal, bei der Bundestagswahl 2017 gingen knapp 220.000 Kinder und Jugendliche in über 1.500 Wahllokalen im ganzen Bundesgebiet wählen. In diesem Jahr sollen es nach Angaben des Deutschen Bundesjugendrings noch mehr werden. Mehr als 2.200 Wahllokale sind für die Aktion U18 registriert - in Jugendtreffs, auf Spielplätzen, in Feuerwachen, Bibliotheken, Gemeindehäusern und Schulen wie der WGS. Eine neue Rekordbeteiligung.

Komplizierte Sprache

Julia Gehlert, diesjährige Wahlhelferin und Studentin der Erziehungswissenschaft, hätte eine U18-Wahl als Schülerin auch gerne gehabt: „So ist man schon früh dran an demokratischen Gepflogenheiten“, lobt sie die Idee. Zu ihrer Zeit gab es das aber noch nicht. Sie und Lydia Rauh, die Leiterin der mobilen Beratung Kriftel, sind als Begleiterinnen im Freizeithaus Kriftel tätig. Sie haben die wichtigsten Themen aus den Wahlprogrammen der größten sechs Parteien für die Schüler auf einer Stellwand vor dem „Wahlraum“ zusammengefasst. Dabei fiel Ihnen auf, wie sperrig und schwer verständlich die meisten Wahlprogramme sind. „Die Sprache der Parteien ist oft abschreckend verschwurbelt“, lautet entsprechend das Resümee der beiden. Am besten habe es eine TV-Jugendsendung verstanden, die Parteiinhalte für Kinder und Jugendliche zusammenzuschreiben. Daran habe man sich orientiert, die Sendung konnte auch per QR-Code an der Wand zur Info abgerufen werden. „Da haben sich einige Kinder vor dem Betreten des Wahllokals nochmal vergewissert“, hat Lydia Rauh beobachtet.

Drinnen war alles so arrangiert, wie es am 26. September für die Wahlberechtigten in echt ist. Inklusive Wahlzettel, Wahlkabinen, Urnen und einem Stempel für diejenigen Schüler, die bereits gewählt haben. „Allerdings durfte jeder nur die Zweitstimme für die Partei vergeben“, hebt Julia Gehlert hervor. Das mit der Erststimme sei zu kompliziert. 24 Parteien warten auf dem Stimmzettel darauf, angekreuzt zu werden. Darunter außer den Parteien des Bundestags auch Exoten wie die „Partei für Gesundheitsforschung“ oder „Die Humanisten“. Aus dem Ergebnis soll sich ein politisches Stimmungsbild der Kinder ergeben.

Positive Resonanz

Ausgelassen gestimmt sind schon einmal die Jungs der H7a, die sich mit ihrer Klassenlehrerein Julia Diegisser vor dem Freizeithaus aufbauen. Sie posen demonstrativ mit ihren hochgestreckten Daumen und skandieren „Für Deutschland“. Sonderlich ernst scheint hier keiner diese Wahl zu nehmen. Doch vier ihrer Klassenkameradinnen sehen das anders. Sie stehen Rede und Antwort. Auf die Frage, ob sie es gut fänden, dass Angela Merkel jetzt geht, schallt einem ein entschiedenes vierstimmiges „Nein“, sowie „echt schade“ und „nicht gut“ entgegen. Die vier Mädchen mussten alle mit Ihren Familien 2015 aus ihrer Heimat wie Syrien und Afghanistan fliehen. Samira,13 Jahre alt, sagt es geradeheraus: „Ich finde es gut, dass es hier freie Wahlen gibt.“ Ihre Mitschülerin Eltina empfindet die U18-Wahlen als „eine Chance, mitzuerleben, was Demokratie bedeutet“.

Wahlalter umstritten

Die Mädchen aus der R9a mit Lehrerin Babette Menze haben schon sehr konkrete Vorstellungen, was die U18-Wahl angeht. „Mitbestimmung“ fordert die 12-jährige Maja, die am liebsten schon mit 16 „richtig wählen“ gehen möchte. Mehr Umweltschutz, Toleranz Minderheiten gegenüber, aber auch konkret neue Toiletten für die WGS stehen auf der Wunschliste der jungen Wählerinnen. Wo ihr politisches Interesse herkomme? Man diskutiere mit Freunden, Eltern und in der Schule über die Parteien. Soziale Medien tauchen weniger als Impulsgeber auf. Romy aus der R9b zum Beispiel, 15 Jahre alt, vertraut ihnen aufgrund von „zu viel Fake“ nicht. Infos aus Zeitungen und Nachrichten seien besser.

Beim Thema, mit 16 schon zu wählen, sind sich die jungen Testwähler generell nicht einig. Viele finden, es sei zu früh. „Man lässt sich zu sehr beeinflussen, kann viele Entwicklungen noch nicht richtig einschätzen“, fasst es der 14-jährige Ameron zusammen. Ihm sind Investitionen in Bundeswehr und Polizei und damit die „Innere Sicherheit“, wichtig. Dass Bundeskanzlerin Merkel gehen muss, finden einige schade, aber auch notwendig. „Frischer Wind“, bringt es Mitschüler Erik auf den Punkt. „Sie hat einen guten Job gemacht und jetzt ihren Ruhestand verdient“, ist sich Cedric aus der G10a sicher.

Merkel ade

Rektor Alexander Heyd, als Pädagogischer Leiter der WGS verantwortlich für die Aktion U18, weiß aus seiner Erfahrung zu berichten, dass die meisten Schüler nur Angela Merkel kennen und sonst keinen Kanzler. Wenn er nachfrage, kämen öfter Adenauer, aber auch Bismarck als Antwort. Schröder, Kohl, Brandt werden nicht genannt. Das Interesse an Politik sei außerhalb der Aktion gering.

Er fragt in die Runde, wer denn in die Politik wolle und sich dort engagieren möchte. Das Ergebnis ist ernüchternd: Keiner. Zumindest in dieser Altersgruppe. Warum? Zu viel Arbeit, zu viele Themen, Ärger mit Bürgern. Shabana aus der G10a setzt andere Prioritäten: „Ich konzentriere mich lieber auf die Schule.“ Als wichtigstes Thema fällt den Jugendlichen immer wieder die „Digitalisierung“ ein. Evelina aus der G10a wünscht sich „bessere digitale Ausstattung der Schulen“ und Mitschüler Valentin ergänzt: „Mehr Digitalisierung erleichtert die Bürokratie.“ Cedric fordert, das Internet auszubauen. Das unterstützt auch Rektor Heyd: „Deutschland ist in digitaler Hinsicht abgehängt.“

SPD siegt vor der CDU

Eine Menge Wünsche und Forderungen an die Politik, die an diesem Wahltag die Verantwortlichen nachdenklich stimmen. Wie sie ohne Beteiligung dieser Generation umgesetzt werden können, fragt sich nicht nur Lydia Rauh. „Die jungen Leute sind doch ganz nah an der Politik“, meint sie und verweist auf die kommunale Ebene. Die Gemeinde sei der Ort, an dem alle politisch mitentscheiden können. Auch Jugendliche. Sie habe mit dem „Jugenddemokratiekonvent“ - so der Arbeitstitel - in der Kommunalversammlung eine Tür für die politische „Teilhabe“ aufgestoßen. Jugendliche sollen dort mitentscheiden „was für sie und Kriftel passt“.

Ab 18 Uhr wurden am Freitag die Stimmen in der WGS ausgezählt. Es ging schnell bei 513 abgegebenen Stimmen: 16 sind ungültig, auf die SPD entfallen 128 Stimmen, die CDU erhält 82, die FDP 79, für die GRÜNEN stimmen 69, für die LINKE 33. Mit 16 Stimmen spielt die AfD keine besondere Rolle. Die sonstigen Parteien bekommen zusammen 90 Stimmen. Kinder an die Macht? „Macht Ihr erst mal“, bemerkt ein Zehntklässler und schaut die Erwachsenen mit spitzbübischem Lächeln an.

Die bundesweiten Ergebnisse findet man unter

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