Was ältere Leute erzählen

„Aufgelesen“ von Dieter Press

Geschichtliches

über die Gemeinde Bischem

Die Erwerbslosigkeit hatte Anfang der 1930er-Jahre immer beunruhigendere Formen angenommen.

Man beschimpfte – wie berichtet – die Regierung, aber auch die Geschäftsleute, die Bauern, man schimpfte auf die Fabriken, die mit ihren modernen Maschinen „uns die Arbeit wegnehmen“. Erstmals hörte man den Namen Adolf Hitler, der alles zum Besseren umkrempeln wolle, und es war von Nationalsozialisten (Nazis) die Rede, die im Deutschen Reich immer eine größere Rolle spielen würden.


Nazis wieder abgezogen

Überraschend wurde für den 30. Juli 1930 eine nationalsozialistische Versammlung in Bischofsheim im Saalbau Schad in der Bahnhofstraße angekündigt. Als die Veranstalter und Einberufer dieser Versammlung – es waren auswärtige Nationalsozialisten – am Abend auf Lastwagen, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot, erschienen, war der Saalbau Schad geschlossen. Gastwirt Wilhelm Schad hatte seine anfängliche Genehmigung für diese Versammlung in seinem Saal zurückgezogen. Schlägereien und Saalschlachten, die bei derartigen Veranstaltungen in umliegenden Orten vorkamen, waren ihm zu Ohren gekommen. „In meinem Saal soll’s keine Schlägerei und keine Stänkerei geben“, sagte der energische Wirt. Und die Nazis zogen wieder ab – nicht ohne vorher am Schulplatz lautstark zu verkünden, dass sie wiederkommen werden.


Bravo- und Pfuirufe

Und sie kamen wieder, und zwar bereits zwei Wochen später. Für den 14. August 1930 wurde von den Nationalsozialisten eine neue Versammlung angekündigt – diesmal im Saal Jakob Bayer. „Sogar Eintrittsgeld wollen die für einen Versammlungsbesuch: 40 Pfennige für Arbeitende und 20 Pfennige für Erwerbslose“, war allenthalben im Ort zu hören. „Wer wird da schon hingehen?“, fragte man sich. Aber, siehe da: Der Saal war bald vollbesetzt. Mit Lastwagen waren einige Hundert auswärtige Nazis, teils in braunen Uniformen, viele aber auch in Zivil, auf dem Schulplatz eingetroffen und unter Gesang und mit einem starken Polizeiaufgebot zum Saal Bayer marschiert. Die Ausführungen des Referenten wurden abwechselnd oft von Bravo- und Pfuirufen unterbrochen, denn auch die Gegenparteien der Nazis waren stark vertreten. In der Diskussion meldete sich für die SPD der Reichtagsabgeordnete Carlo Mierendorff zu Wort. Beide Redner prallten mit ihren Meinungen heftig gegeneinander. Da man Mierendorff nur eine Viertelstunde Redezeit gewährte, hatte dieser keine Gelegenheit, all das zu sagen, was er auf dem Herzen hatte. Doch zum Schluss seiner Rede kündigte er noch an, dass die SPD mit allen Mitteln die Errungenschaften der Revolution verteidigen werde.

Hoch gingen die Wogen der Erregung am Ende dieser ersten Nazi-Versammlung in Bischofsheim. Unter Absingen des Deutschlandliedes verließen schließlich die Nationalsozialisten und ihre Gegner unter dem Gesang der „Internationale“ den Saal.


Stadtrat Graf niedergestochen

Das war jedoch erst der Anfang einer folgenden, bewegten Zeit. Zwar verlief das Jahr 1930 noch recht ruhig. Ein hiesiges Feuerwehrfest hatte einen glänzenden Verlauf genommen und die im allgemeinen sehr gemäßigten Bischofsheimer kümmerten sich wenig um die hochpolitischen Vorgänge im Reich. Das Jahr 1931 war dann schon unruhiger. Die Not der damaligen Zeit machte die Menschen unzufrieden und verbitterte sie, die politischen Versammlungen wurden ständig besser besucht und man prallte immer mehr mit seinen Meinungen aufeinander.

Am 30. Mai 1931, einem Sonntag, unternahm Stadtrat Karl Graf mit seiner Familie einen Spaziergang. In der Nähe des Bischofsheimer Friedhofs wurde er von einem 34-jährigen Groß-Grauer, der Mitglied der Kommunistischen Partei war, angepöbelt. Es kam zu einem Wortwechsel und im Verlauf der Streitigkeiten brachte der Groß-Gerauer dem Bischofsheimer Stadtrat einen Stich mit einem Messer bei, so dass Karl Graf mit einer lebengefährlichen Verletzung ins Krankenhaus gebracht werden musste. „Sind wir wirklich schon so weit, dass man wegen der Politik zum Messer greifen muss?“, fragten sich die Menschen, als der Täter gefesselt zur hiesigen Polizeiwache geführt wurde.

  (Wird fortgesetzt!)

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