Kein Vertrauen in die Stellplatzverordnung

Bürgerversammlung zum Wohngebietsprojekt Alter Bahnhof zeigt Bedenken der Anwohner zum Parkdruck und Zufahrtsverkehr auf

Sachlich verlief am Montag die Diskussion um die Auswirkungen des Neubaugebiets Alter Bahnhof mit den Anwohnern und interessierten Bürgern.
(gus/Fotos: Steinacker)

 

BISCHOFSHEIM (gus) – Vielleicht war es der Umstand, dass sich im großzügig bestuhlten Bürgerhaus die rund 50 anwesenden Bürger etwas verloren vorkommen mussten, aber in diesen Zeiten muss man wohl schon froh sein, wenn Diskussionsveranstaltungen um ein etwas heikles Thema so sachlich und freundlich im Ton ablaufen wie diese Bürgerversammlung am Montagabend, 23. Oktober. Die Gemeindevertretungsvorsitzende Sabine Bächle-Scholz (CDU) hatte die Anwohner des künftigen Neubaugebietes „Alter Bahnhof“ sowie alle interessierten Bürger eingeladen, sich Details der Planungen für die Brachfläche rundum das ehemalige Bahnhofsgebäude erläutern zu lassen.

Längst war allerdings klar, was die Bürger an den Planungen besonders interessiert: wie stark der Zu- und Abfahrtverkehr zu dem Wohngebet ihre Wohnstraßen zusätzlich belasten wird. Vornehmlich die Bahnhofstraße als Haupt- und die Wilhelmstraße als Zweit- oder Nebenverbindung vom Straßennetz der Gemeinde zu den neuen Wohnstraßen sind betroffen. Zum Schluss der Veranstaltung waren sich alle einig, dass die Debatte in kleinerem Kreis, sprich mit Delegierten aus diesen beiden Wohnstraßen und der Verwaltung, fortgeführt werden soll. Der Tenor der Anwohner könnte dem Diskussionsverlauf nach dabei beispielsweise lauten, dass der Investor in dem Gebiet weniger Einheiten als derzeit geplant bauen sollte. Eine grundsätzliche Ablehnung des Projekts wurde dagegen kaum formuliert – eher steht die Hoffnung, auf den Investor auf Verbesserungen im Interesse der Bewohner der Nachbarstraßen hinwirken zu können.

Dass die Anwohner beider Straßen ein Problem damit haben, wenn sich gut 120 Neubürger in dem Bereich niederlassen werden – die alle auch hin- und auch wieder wegkommen müssen aus ihrem Gebiet – ist der eine Aspekt, den die Bürger in der Diskussion vortrugen. Der andere ist die Planung des Investors selbst, von der manche nicht glauben mögen, dass sie ohne Auswirkungen auf den Parkraumdruck in ihren Straßen bleiben wird. Denn die Planungen gehen von einem – durch die Stellplatzverordnung der Gemeinde vorgegebenes – Angebot von 1,5 Parkplätzen pro Wohneinheit aus, was 87 Stellplätze bedeuten würde, die der Investor „Wohnen und Leben“ natürlich auch nachweist.

Dieser Wert von 1,5 erscheint vielen Bürgern angesichts des Trends zum Zweitwagen unrealistisch. Und das bereitet Sorgen, denn wo, wenn nicht in ihren bereits manchmal überfüllten Straßen sollen die überzähligen Fahrzeuge dann abgestellt werden? Die 34 Reihenhäuser, das Mehrfamilienhaus mit 21 weiteren Wohnungen sowie die drei Wohnungen, die in den denkmalgeschützten Bahngebäuden Lagerhalle (2) und Stellwerk entstehen sollen, ergeben bei somit 58 Wohneinheiten rechnerisch diese 87 Stellplätze.
Das Mehrfamilienhaus bekommt eine Tiefgarage, für die Bewohner der Reihenhäuser dagegen werden Parkplätze entlang der östlichen Begrenzung des Baugebietes, also entlang der Schienen und vor dem Alten Bahnhof, sowie an der Südgrenze des Areals vorgehalten. Zusätzliche Plätze, etwa für Besucher, weist der Plan bisher nicht nach.

Fahren alle 87 Fahrzeuge einmal am Tag aus dem Wohngebiet heraus und wieder hinein, und rechnet man zehn Anfahrten von Zulieferern hinzu, ergeben sich 194 Fahrzeugbewegungen täglich, die durch die anliegenden Straßen müssen. Das ergibt rechnerisch nur alle siebeneinhalb Minuten ein Fahrzeug, aber im realen Leben findet dieser Verkehr natürlich auf wenige Stunden konzentriert statt. Jeweils ein Drittel der Fahrzeugbewegungen, etwa alle zwei Minuten eine, werden in den Berufsverkehrszeiten zwischen sieben und neun Uhr sowie zwischen 17 und 19 Uhr erwartet.

Auch das ist nicht gerade Massenverkehr, aber die beiden Zufahrtsstraßen sind vorbelastet: Die Wilhelmstraße, derzeit noch Sackgasse, die aber geöffnet werden soll, durch ihre bauliche Enge mit weniger als 7,50 Meter Platz zwischen den Häusern. Die Bahnhofstraße, rund einen Meter breiter gebaut, eher dadurch, dass sie jetzt schon als Zufahrtsstraße zu den Gassen des Ortsteils fungiert und an den Freitagen dort zudem durch die Moschee wöchentlich in einen Ausnahmezustand gerät, wenn dort rund 100 Fahrzeuge ihren Abstellplatz suchen. Auch ein Fitnessstudio und ein Taxibetrieb sorgen in der Bahnhofstraße schon im „Normalbetrieb“ für mehr Fahrzeugbewegungen als in einer normalen Wohnstraße.

Klar scheint schon einmal, dass der Bauverkehr ausschließlich durch die Bahnhofstraße rollen wird, eine zwar zeitlich begrenzte, aber auch nicht gerade erfreuliche Perspektive für die Anwohner. In welche Richtungen der Bewohnerverkehr nach Fertigstellung des Gebietes fließen soll, ist noch nicht endgültig geklärt. Insbesondere, ob in der Wilhelmstraße der Verkehr in beide Richtungen fließen soll, oder die Straße wegen ihrer Enge zur Einbahnstraße umfunktioniert wird, steht zu entscheiden aus.

Diese Diskussion hat Potenzial, die beiden Anwohnergruppen zu spalten. Dritte Alternativen einer Zu- und Abfahrtsregelung zu dem Neubaugebiet sind nicht in Sicht. Die Spelzengasse etwa, die im nördlichen Drittel auf das Gebiet zuführt, kommt als Zuwegung nicht infrage, weil die Fläche an ihrem Ende ein Privatgrundstück ist, das als Zufahrt zu der dortigen Tiefgarage benutzt wird. Bürgermeister Ingo Kalweit (CDU) glaubt zudem nicht, dass es eine realistische Perspektive wäre, darauf zu hoffen, eine völlig neue Zufahrtsroute direkt entlang der Gleisanlagen zu bauen. „Das würde mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen“, vermutete er, weil dazu mit der Bahn über eine Abtretung von Gelände und Gleisen verhandelt werden müsste – mit dem schwierigsten Gesprächspartner für Kommunen und Investoren überhaupt.

Manche Anwohner plädierten in ihren Redebeiträgen darfür, mit dem Investor über die Dimension des Projekts mit der einhergehenden Verdichtung zu sprechen. Ein Eindampfen der Anzahl der Wohneinheiten wäre natürlich grundsätzlich möglich, würde aber die Kalkulationen verändern, sprich: „Wohnen und Leben“ müsste zusehen, höhere Preise für die Einheiten zu erzielen, was der Idee, dort für Familien bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, entgegenlaufen würde.

Angesichts der anvisierten Verkaufspreise für die Reihenhäuser von 400.000 und 450.000 Euro bezweifelten Bürger, dass sich das Normalverdiener, vor allem die Zielgruppe junge Familien, überhaupt leisten können. Tatsächlich haben Investoren im gesamten Rhein-Main-Gebiet derzeit aber überhaupt keine Probleme, solche Projekte zu vermarkten – woher immer auch diese Familien das Geld nehmen. Doch das muss ja nicht auf dem Konto liegen, die meisten Käufer werden es sich aus Erben oder klassisch über Kredite besorgen, die es derzeit weiterhin recht zinsgünstig gibt.

Jedenfalls ist davon auszugehen, dass W&L seine Eigentumshäuser loswird, selbst in dieser nicht allzu attraktiven Lage direkt an den Bahnflächen. Und auch für das Mietwohnungshaus stehen Wohnungsbaugesellschaften als Betreiber parat, die davon ausgehen können, genügend Interessenten zu finden. Gemeindevorstand Helmut Schmid (CDU) warnte als Mitglied des regionalen Planungsverbandes davor, den Investor zu drängen, weniger Einheiten zu bauen. „Der Wohnungsbedarf ist in unserer Region riesig, das wäre der völlig falsche Ansatz“, sagte er.

Eher scheint es denkbar, dass W&L in Gesprächen dazu gebracht werden könnte, sein Parkflächenkonzept zu überarbeiten und mehr als die rechtlich geforderten 1,5 Stellplätze pro Einheit zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist die Idee mit dem Baugebiet auch, dass die räumliche Nähe zum Bahnhof dafür sorgt, dass sich in dem Gebiet auch viele Bürger niederlassen werden, die ohne Auto auskommen wollen, sodass die Stellplatzverordnung in diesem Falle völlig ausreichen würde, um genügend Parkraum zu schaffen und die Verdrängung in die benachbarten Straßen ausfällt. Das ist allerdings nicht absehbar, die Bewohner der Bahnhofstraße und Wilhelmstraße werden sich nun einigen müssen, wer ihre Interessen in der Arbeitsgruppe mit der Verwaltung vertreten soll.

Der neue Leiter der Bischofsheimer Polizeistation, Rolf Leinz, verfolgte die Debatte interessiert, sind es doch er und seine Kollegen, die sehr regelmäßig Anrufe aus der Bahnhofstraße entgegennehmen, wenn wieder einmal jemand völlig quer steht. Dabei kann die Polizei nur bei akuten Gefährdungslagen eingreifen, der Falschparker an sich ist Kunde der Ordnungsbehörde der Gemeindeverwaltung. Leinz versprach aber, die Planungen auch aus polizeilicher Sicht zu verfolgen und im Rahmen der Diskussion zu bewerten.

Die Verabschiedung der Planoffenlage für das Baugebiet in den Gremien wird sich übrigens in die Dezemberrunde verschieben, bisher war dies für die Novembersitzungen vorgesehen.

Weitere Artikelbilder:

Noch keine Bewertungen vorhanden


X