Lange Tage, kurze Nächte und ein Reh von der Seite

Die Euroradler sind nach 2650 Kilometern auf dem Rad von ihrer Tour durch Schweden zurück

Das Gruppenbild entstand zum Abschluss der Tour am südlichsten Punkt Schwedens bei Trelleborg.
(Fotos: Euroradler)

 

BISCHOFSHEIM (pm/tw) – Mit dem Fahrrad durch Europa ist für viele Urlauber ein Traum, für andere einfach unvorstellbar. Den Spagat dazwischen praktizieren seit nunmehr 25 Jahren die Euroradler aus Bischofsheim, deren Ursprünge in der Städtepartnerschaft zwischen Dzierzoniow (Polen) und der Eisenbahnergemeinde in der Mainspitze liegen. Damals, 1992, gab es die Idee, mit dem Fahrrad bis in die Kreisstadt am Rande des Eulengebirges zu fahren. Und sie wurde umgesetzt.

Gut 800 Kilometer an neun Tagen legten die Männer und Frauen damals zurück und ihre Tour – mit Tagesetappen von 70 bis 80 Kilometer – erinnerte aus heutiger Sicht mehr an eine gemütliche Sonntagsfahrt. Dafür sorgte auch schon die Optik: Poloshirts und Schirmmütze statt Radlertrikot und Fahrradhelm. Aber sie kamen an.

Im Folgejahr wurde die zweite Partnerstadt erradelt, Crewe and Nantwich in England, und danach ging es bis an alle Ränder Europas. Lissabon, Moskau, Palermo, Istanbul, Nordkap, Jalta, Dublin, Peloponnes, Marrakesch – immer wieder neue Ziele und Abenteuer.

Um ein Land hatten die Euroradler völlig unbewusst einen Bogen gemacht: Schweden. Und so kam es, dass es im Jubiläumsjahr in das Land der Elche ging. Um es vorwegzunehmen: einen Elch bekam die Radlertruppe nicht zu Gesicht, dafür aber unvergessliche Eindrücke von einem beeindruckenden Land. Um dorthin zu gelangen, musste aber erst einmal durch Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gefahren werden. Und so ging es dann in den frühen Morgenstunden des 16. Mai los. Durch den Rodgau, über den Main bei Seligenstadt, entlang der Kinzig, über den Landrücken bis nach Fulda. 158,8 Kilometer standen am Abend auf den Tachos, weit über 1000 Höhenmeter mussten überwunden werden und so um die 4000 Extrakalorien dürften an diesem Tag verbrannt worden sein. So wie am ersten Tag ging es weiter: Hann.-Münden und Goslar am Harz waren die nächsten Tagesetappen. Das Wetter meinte es gut, lediglich im Harz galt es einen Gewitterschauer zu überstehen, und so konnten jeden Tag die mehr als 100 Kilometer so schnell zurückgelegt werden, dass man abends zwischen 17 und 18 Uhr in den Etappenhotels ankam.

Bis nach Kiel, das nach sechs Tagen erreicht wurde, waren es gut 760 Kilometer und dann konnte das Hotelbett für eine Nacht gegen eine Kabine getauscht werden, damit man am nächsten Tag in der zweitgrößten Stadt Schwedens, Göteborg, an Land fahren konnte. Es waren nur drei Kilometer bis zum Hotel und dann war der erste Radtag auch schon zu Ende. Eine Bootstour und eine Stadtbesichtigung waren angesagt und einfach mal ein wenig „ausruhen“.

Dafür ging es am Tag darauf richtig zur Sache. 160 Kilometer, über 1200 Höhenmeter – die Strecke nach Jönköping hatte fast alles zu bieten, was man sich vorstellen kann. Stadtkilometer in Göteborg, tolle Landschaften und einsame Wege, aber auch ein paar Kilometer auf der vierspurigen Europastraße und „Auge in Auge“ oder „Reifen an Lenker“ mit den LKW. Der Radweg neben der Haupttangente zwischen West- und Ostschweden liegt so versteckt, dass nicht einmal die schwedische Polizei ihn genau kennt.

Für die Euroradler ging an diesem Tag alles gut und an den kommenden Tagen machte man Kilometer um Kilometer auf dem Weg nach Norden. Motola, Örebro und Mora waren die kommenden Stationen. Weniger Menschen, weniger Autos und längere Abschnitte zwischen den einzelnen Ortschaften. Dafür aber mehr Tiere im Wald. Einen Elch bekamen die Euroradler nicht zu Gesicht, dafür machte ihr „Chef“ aber Bekanntschaft mit einem Reh. Das sprang aus dem Wald direkt in das Vorderrad von Thomas Will. Was im ersten Moment ein wenig dramatisch aussah, stellte sich nach einer Untersuchung im Krankenhaus aber als leichte Gehirnerschütterung mit Prellungen und ein paar Hautabschürfungen heraus. Das Fahrrad hatte bis auf die Lenkerhörnchen überhaupt keine Blessuren davongetragen. Eines haben die Euroradler daraus gelernt: ihre Devise „niemals ohne Helm“ wurde einmal mehr bestätigt.

Während das Wetter an allen diesen Tagen mitspielte, meinte es der Wettergott auf der Etappe von Gävle nach Uppsala nicht so gut. Einen ganzen Tag kam es nass von oben. Aber auch da kam man durch und nach 1900 Kilometern war Stockholm erreicht. Wieder stand ein „Ruhetag“ auf dem Programm, bevor es zur größten schwedischen Insel, Gotland, ging. Drei Radtage auf der Insel und danach nur noch nach Süden. 450 Kilometer durch Südschweden, abwechslungsreich zwischen Wald und Wasser, immer wieder faszinierende Blicke auf Schlösser und Burgen und dann war es geschafft. Nach 2650 Kilometern: Trelleborg.

Noch eine kleine Hafenrundfahrt und dann war auch diese Tour zu Ende. Kein Begleitbus, alles Gepäck am Fahrrad, ein paar Platten, aber keine gravierenden Defekte – eine rundherum gelungene Tour. Vier Radler: Rudi, Frank, Tim und Jürgen sind die komplette Strecke gefahren, wobei Rudi mit seinen 76 Jahren die größte Anerkennung gebührt. Der jüngste in der Truppe, Tim, war gerade mal 23. Teamleader Thomas Will fehlen so um die 80 Kilometer – den Nachmittagsteil, nachdem er den Unfall mit dem Reh hatte. Aber auch drei Frauen waren dabei. Dabei brachte es Petra auf über 2200 Kilometer, Carmen knackte die 1800 Kilometermarke und Conny kam auf gut 800 Kilometer.

Nach der Tour ist vor der Tour: 2019 gehen die Euroradler eine neue Herausforderung an – es geht zum westlichsten Punkt Europas: auf die Azoren.

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