Der große Fritz Rau begann seine Konzertveranstalter-Aktivitäten vor 57 Jahren (genau am 2. Dezember 1955, als in der Heidelberger Stadthalle die spätere Jazz-Ikone Albert Mangelsdorff auftrat), Schneider seine vor nun auch immerhin schon 15 Jahren. Da passte es, dass Rau am Donnerstag voriger Woche anlässlich der HoTi-Jubiläumsveranstaltung im Bürgerhaus – wie schon 2007 zum Zehnjährigen – mit seinem Vortragsabend erneut im Bürgerhaus auftrat und aus seinem 2005 erschienenen Buch „50 Jahre Backstage“ vorlas.
Zur Geburtstagsparty kamen gut 300 Gäste. „Ich hatte mir mehr erhofft“, zeigte Schneider sich über diese Resonanz eher enttäuscht. Sehr zufrieden war er dagegen mit dem, was die Zuschauer geboten bekamen. „Ein sehr runder, schöner Abend“, findet Scheider. Und dies sahen die Besucher ebenso, kann er berichten.
Das rund vierstündige Programm zum 15-Jährigen war eine Benefiz-Veranstaltung für die Wiesbadener „Bärenherz“-Stiftung und den Förderverein der Georg-Mangold-Schule. Der Abend begann mit einer unangekündigten Überraschung, einem Eröffnungsständchen der „Musical Factory“ mit „Somewhere over the Rainbow“. Die Mainzer Formation war am 31. Mai 1997 der erste HoTi-Gast im Bürgerhaus, mit „The Wizard of Oz“. Für die Verfilmung des Romans wurde der weltbekannte Song einst geschrieben.
Es folgte eine Mischung aus Kurzauftritten von dem Bischofsheimer Publikum dank „HoTi-Events“ bestens bekannten Comedykünstlern. Ramon Chormann, Peter Beck alias der „Begge Peder“ sowie Felix Hotz und Florian Harz, Gastspielberufene des Darmstädter „Kikeriki-Theaters“, waren allesamt nicht zum ersten und auch nicht zum zweiten Mal bei Holger Schneider zu Gast. Sie boten in 20 bis 25 Minuten langen Auftritten Auszüge aus ihren Programmen, bauten aber auch Bezüge zum HoTi-Jubiläum ein. „Was da geboten wurde, hatte alles eine hohe Qualität“, zeigte sich Schneider beeindruckt.
Auch Henni Nachtsheim, der 2007 und 2009 jeweils seine Solo-Alben in Bischofsheim präsentierte, wollte eigentlich mitfeiern. Wegen einer Netzhautablösung am rechten Auge musste der Ex-Rodgau-Monotones-Frontmann aber kürzlich zur OP. Neben der Stippvisite im Bürgerhaus entfällt für ihn dadurch auch das Finale der derzeitigen Badesalz-Tour. Die Bischofsheimer bannten ihm spontan einen Genesungswunsch auf ein Video, das Nachtsheim erhalten und erheitern wird: ein echtes Meenzer „Heile, heile Gänsje“.
Biber Herrmann ist der „Soul Brother“
Den Comedynummern folgte der zweite Teil der Geburtstagfete mit Raus Lesung. Zum Star des Abends wurde dabei Biber Herrmann, der Fritz Raus Vortrag mithilfe seines Arsenals akustischer Gitarre mit musikalischen Beispielen anreicherte. Aber das klingt zu sehr nach Nebensache. In Wirklichkeit waren Herrmanns Interpretationen ein Erlebnis für sich und es alleine das Eintrittsgeld wert, was der Gitarrist mit seinen Interpretationen der Musikstücke von ehemaligen Rau-Künstlern bot.
Mit einer Ausdruckskraft kommen die Stücke so rüber, dass es keinerlei Verluste zu den Originalen zu beklagen gibt. „He’s a real soul brother“, pflegt Rau über seinen Vortragspartner zu sagen. Soll heißen: Der Weiße aus dem Rheingau, der nach eigenen Angaben bei der Weinbergsarbeit das Bluesgefühl verinnerlichte, kann es genauso gut wie die schwarzen Soulkünstler, die Rau in den 50er-und 60er-Jahren zusammen mit seinem 1997 verstorbenen Agentur-Partner Horst Lippmann einem größerem Publikum zu Gehör brachte, darunter Muddy Waters und Willie Dixon, Autor des Klassikers „Hoochie Coochie Man“.
Im Jahr 1962 begann die Reihe „American Folk Blues Festival“ und hielt mit einigen Jahren Unterbrechung (1973 bis 1979) bis 1985 an, hinzu kamen fast jährlich Tourneen. Dass Rau in den Siebzigern die großen Welttourneen der Stones, erst in der Halle, später auch mit Open-airs, organisieren durfte, ist diesem Werk zuzuschreiben, denn auch auf junge europäische Musiker wie Mick Jagger blieben die Londoner Konzerte des Festivals nicht ohne Einfluss. Wen Rau dabei mehrfach aus dem Backstage-Bereich rausschmeißen ließ, war ihm damals nicht bewusst –der später sehr engen Beziehung der Rau-Jagger hat es nicht geschadet. Jaggers Intimfeind Keith Richards hält Rau allerdings für die eigentliche Seele der Stones, Jagger eher für den Kopf und Wirtschaftsboss.
Ob Bibers Blues-Interpretation des Stones-Klassikers „Satisfaction“ (1965) zum Abschluss des Vortrags den Autoren Jagger und Richards gefallen hätte, das wird sich wohl nicht klären lassen, aber es ist zu vermuten. Grundschullehrer Schneider wird seine zum Nebenberuf gewordene Arbeit mit HoTi-Events nicht so weit vorantreiben, dass er es mit diesen Größen der Branche zu tun bekommen könnte. Reizen würde es ihn nur bedingt, sagt Schneider, „da geht es ja um Millionen, und da ist das zu tragende finanzielle Risiko für den Veranstalter sehr hoch“. Mit HoTi-Events ist dieses Risiko, das er – so die Vereinbarung mit der HoTi unterstützenden Gemeinde – freilich ebenso zu tragen hat, überschaubar. Veranstaltungen, die Defizite einfahren, kann Schneider verlässlich durch andere Veranstaltungen ausgleichen.
Und es gibt sie ja, die regionalen Knüller, mit denen sich die Säle gut füllen lassen, und diese Künstler arbeiten gerne mit Schneider zusammen. Für Begge Peder und das Kikeriki-Theater wird HoTi in den kommenden Wochen ein Sommerprogramm füllen, allerdings andernorts. Mit dem „Deppenkaiser“ kommt Kikeriki im November wieder nach Bischofsheim, sogar mit einer Tour-Premiere. Beim HoTi-Jubiläum gab es frechen bis derben Humor der Ratten-Figuren Körbel und Abrazzo zu erleben. Die Darmstädter, die in der heimischen Comedy Hall in Bessungen über 300 Mal im Jahr ausverkaufte Vorstellungen geben, haben Schneider zum Haupt-Organisator jener rund 50 Auswärtsauftritte im Jahr auserkoren, die sie nicht direkt mit lokalen Veranstaltern wie Vereinen abwickeln.
Schneider sucht auch überregional
Auch mit Ramon Chormann, dem „Pälzer“, der erst vor kurzem im Bürgerhaus zu sehen war, arbeitet Holger Schneider inzwischen über Bischofsheim hinaus zusammen. Aber er schaut sich durchaus auch überregional nach Künstlern um. „Wenn ich jemanden sehe, von dem ich meine, dass er zu uns passt, dann werde ich versuchen ihn nach Bischofsheim zu holen, unabhängig davon, wo er herkommt “, sagt er. Bei der vorhandenen Kapazität im Bürgerhaus von 400 bis 600 zu verkaufenden Karten liegt HoTi-Events freilich genau in dem Rahmen, der die Publikumsgrößen bietet, wie sie professionelle regionale Künstler zufrieden stellt, überregionale eher nicht.
Schneiders Crew von rund 35 Helfern im Hintergrund ist ein wichtiger Bestandteil der Bischofsheimer Veranstaltungen. Bei den auswärtigen Veranstaltungen sind sie nur ausnahmsweise und vereinzelt gefragt, weil die Organisation des Rahmens den örtlichen Leuten überlassen ist. „Die Bischofsheimer Veranstaltungen bedeuten auch für mich einen viel größeren Zeitaufwand als die in anderen Städten“, erläutert Schneider. Aber natürlich gibt es nichts schöner für ihn als mit der eigenen Crew in „seinem“ ausverkauften Bürgerhaus einen echten Knaller zu erleben – und davon soll es in den kommenden Jahren noch viele weitere geben. „So einen wie den HoTi brauchen wir“, verschmolz bei Fritz Rau vorige Woche sogar schon die Person Holger Schneider mit dessen Tätigkeit als Veranstalter. Was ja nicht ganz falsch ist.
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