Großversammlung auf der Ochsenwiese

Familientreffen irischer „Traveller“ überraschte die Gustavsburger und sorgte viereinhalb Tage für Chaos

Plötzlich war die Ochsenwiese am Mittwoch, 10. August, mit Wohnmobilen und großen Fahrzeugen vollgestellt, rund 500 sogenannte irischstämmige „Traveller“ hatten sich unangekündigt auf dem Freigelände niedergelassen und waren damit das Thema der Woche an der Mainspitze.
(gus/Fotos: Steinacker)

GUSTAVSBURG (gus) – Die Region hätte eigentlich drauf vorbereitet sein müssen, die Stadt wohl kaum. Die alljährlich im August in unserer Region auftauchenden Wohnwagenkolonnen der „Irish Traveller“ haben am Mittwochnachmittag, 10. August, ganz unangekündigt die Gustavsburger Ochsenwiese in Beschlag genommen und Stadt und Polizei dadurch in helle Aufregung versetzt. Viereinhalb Tage lang hielt der Ausnahmezustand am Main an. Am Montagmorgen setzte sich der Tross dann ebenso unvermittelt wie er auftauchte wieder in Bewegung und zerstreute sich in mehrere Himmelsrichtungen.

Bemerkenswert sind diese „Traveller“, die bei ihren sommerlichen Europafahrten im Prinzip als Zusammenschluss mehrerer Familienclans von der Insel unterwegs sind, in jeder Hinsicht. Ihre Lebensweise des steten Umherziehens ist das eine, ihre überall, wo sie auftauchen zu beobachtende irritierende Art des Auftretens das andere. In Gustavsburg waren jedenfalls alle äußerst froh, als der Spuk wieder vorbei war.

„Diese Heuschrecken haben uns ganz unerwartet getroffen“, sagt Bürgermeister Thies Puttnins-von Trotha, für den am Mittwochnachmittag mit der Meldung von der Ankunft der rund 100 Fahrzeuge auf der Ochsenwiese der Ausnahmezustand im Amt begann. Ein Problem hätte die Belagerung des Geländes bei einem anderen Verhalten der ungebetenen Besucher gar nicht sein müssen, doch „wie die sich benommen haben, entspricht nicht unserem Wertesystem“, stellte der Bürgermeister klar, warum sich ab Donnerstag an der Mainbrücke für vier Tage ein Bild etablierte, das dem Wunsch der meisten Bürger nach einem geruhsamen Leben stark entgegenstand.

Starke Polizeipräsenz rund um die Einfahrt zur Ochsenwiese machte jedem, der die Mainbrücke passierte klar, dass sich hier ein Krisenszenario bietet. Der Bürgermeister zeigt sich froh, dass er es irgendwann geschafft hatte, seine Berufskollegen davon zu überzeugen, den Travellern mehr oder weniger auf Tritt und Schritt zu folgen, wenn sie mit ihren Autos oder auch zu Fuß das Gelände verließen. „Je mehr Polizei vor Ort war, desto mehr Ruhe war“, hält Puttnins-von Trotha den Aufmarsch Uniformierter für gerechtfertigt.

Mit seinen drei Stadtpolizisten, von denen zwei im Dienst waren, und selbst mit einer Unterstützung von der Bischofsheimer Polizeistation wären bestenfalls vier Beamte von kommunaler Seite her einsetzbar gewesen – angesichts der Vorfälle in der Umgebung der Ochsenwiese mit den Besuchern wäre das eindeutig zu wenig gewesen. Die Bilder vom Unrat, den die Gruppe auf der Maaraue im vergangenen Jahr bei einem ähnlich überraschenden Auftritt hinterlassen hatte, waren dem Bürgermeister noch bestens präsent, weshalb er zunächst einmal dafür sorgte, dass auf dem Gelände Mülltonnen aufgestellt wurden, „um Folgekosten zu verhindern“.

Wie sich am Montagmorgen beim Blick auf das verlassene Geländes zeigte, hatte das nur mäßigen Erfolg. Anders, als es sich nach dem Auftreten vor allem der männlichen Familienmitglieder im Stadtteil erwarten ließ, waren Sachbeschädigungen auf der Ochsenwiese kein großes Thema, wohl aber der breit gestreute Unrat mit allen Überraschungen wie zertrümmerte Flaschen und offenbar vor Ort entleerten Campingtoiletten.

Die Müllberge zu beseitigen, daran machten sich noch am Montagmittag Bürger, die einem Aufruf auf der Facebookseite der Stadt folgten und den Bauhof tatkräftig unterstützten. Nach drei Stunden sah das Gelände schon wieder ganz anders aus. „Der Rasen muss noch einmal gemäht und gemulcht werden“, vermeldete der Bürgermeister einen letztlich eher geringen Schaden an der Anlage.

Aber was war das bloß, das da über die Gustavsburger hereingebrochen kam? Es ist eine schwer zugängliche und verständliche Welt, in der die Traveller sich bewegen. Diese Familienclans, die aus Irland stammen und heute vor allem in Großbritannien unterwegs sind, sind seit vielen Generationen als fahrendes Volk unterwegs. Die Anzahl der Nachnamen ist gering, geheiratet wird untereinander und sie geben sich gerne den Anschein, kreuzbrave katholische Christen zu sein.

So gaben die Familienchefs als Grund für den Besuch im Rhein-Main-Gebiet eine Messe zu Mariä Himmelfahrt an, die am Montag (15.) in Wiesbaden stattfinden sollte. Ihr Verhalten in der Öffentlichkeit allerdings ist nicht nur eine Ansammlung von Verstößen gegen die zehn Gebote, sondern auch der irdischen Strafgesetzbücher, die sie als Außenstehende offenbar nur insoweit anerkennen, wie ihnen ansonsten der Hahn abgedreht werden könnte.

So kam es bald schon nach der Ankunft der Wohnwagen zu ersten Vorfällen an der nahegelegen Tankstelle und im Einkaufsmarkt, weil die Gäste die Gepflogenheiten wie „erst bezahlen, dann einstecken“ nicht beachten wollten. Der aufkommende Ärger zwischen Travellern und der Mehrheitsgesellschaft hatte zudem als Ursache, dass bei diesen Clans der Mann noch ein echter Mann ist, was sie vor allem mit der Pflicht zum Konsum von Unmengen Alkohol gleichsetzen.

„Ich gehe jetzt ein Bier trinken – Prost“, raunte ein Traveller einem Polizeibeamten beim Vorbeigehen an der Abfahrt zur Ochsenwiese zu – der Spaß des Iren an der Verhöhnung der Ordnungsmacht stand ihm ins Gesicht geschrieben. An der Zufahrt hatten sich die Beamten in den vergangenen Tagen mit recht massivem Aufgebot aufgestellt und kontrollierten die ankommenden Fahrzeuge. Ob Gurtpflicht, Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Alkoholpegel: Die Straßenverkehrsordnung kam in Gustavsburg durch die Gäste mit den Lenkrädern auf der falschen Seite nur in einem unbefriedigenden Maße zu ihrem Recht.

Auch der gelernte Polizeibeamte im Ginsheim-Gustavsburger Rathaus verbuchte bei der Bekämpfung der Unsitten einen persönlichen Fahndungserfolg. Noch am Montag machte Thies Puttnins-von Trotha Beamte auf einen Mann aufmerksam, der auf ihn alles anders als nüchtern wirkte, als er in seinen Wagen stieg. „Da habe ich selbst noch eine Trunkenheitsfahrt gemeldet“, berichtete der Bürgermeister. Mit 1,7 Promille war der Mann unterwegs, den die Beamten daraufhin aufhielten und blasen ließen.

Enorm auffällig bei dieser Gruppe ist auch der grelle und für unser mitteleuropäisches Empfinden unpassende Aufzug, in dem die Mädchen in Gruppen durch die Straßen zogen. Doch wer aus unserem Erfahrungshorizont dachte, die Traveller-Teenies sind auf der Suche nach Action und Spaß in der besuchten Stadt, schätzt da etwas falsch ein: Diese Mädchen haben keine Ambitionen und wohl auch keine Erlaubnis, mit den Einheimischen in Kontakt zu treten.

Einem Irrtum darf man nicht unterliegen: dass die heimatlose Lebensweise der Traveller bedeutet, dass sie finanziell stets am Abgrund leben. Die bulligen Autos und komfortablen Wohnwagengespanne zeigen, dass Geld hereinkommt, wenn auch unklar ist, wie genau in der benötigten Menge. Offiziell sind die Männer fast alle in Handwerksberufen unterwegs und zwar als Hausierer. Sie klingeln an Einfamilienhäusern und bieten ihre Dienstleistungen an.

Offenbar sind immer noch viele Menschen tatsächlich bereit, sich auf diese Haustürgeschäfte einzulassen: Ob Dachdecker, Gartenpfleger, Asphaltierer, Händler, die Traveller sind mit der Behauptung konfrontiert, dass sie schlicht und einfach Nepper seien, die überteuerte Rechnungen für schlechte Arbeit stellten – aber es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass sich auf diese Weise über Generationen hinweg ein Einkommen erzielen ließe, das ihre Lebensweise finanziert.

Beim Bürgermeister wuchs in den vergangenen Tagen die Erkenntnis, dass man als Kommune vor manchen Überraschungen verschont würde, wenn die Kommunikation zwischen den Städten und Gemeinden besser funktionierte. Ein Traveller-Frühwarnsystem etwa schwebt ihm vor, denn die Wagenkolonnen kommen nicht aus dem Nichts, sondern durchqueren die Regionen mit Kurzhalts in diversen Orten. „Wenn wir rechtzeitig Bescheid wüssten, könnten wir Barrieren aufbauen und installieren, an den Stellen, wo sie sich im Stadtgebiet niederlassen könnten, also an den Bürgerhaus- oder Schulhofparkplätzen und am Bansen“, nennt Puttnins-von Trotha als Beispiel.

Ginsheim-Gustavsburg hatte wohl schlicht Pech, dass die Ochsenwiese den Iren als einer der wenigen freien Plätze geeignet schien, sich zur Großzusammenkunft zusammenzufinden, denn das Treffen in Gustavsburg war eine in der Größenordnung ungewöhnliche Veranstaltung. Und durch die nahe gelegene Maaraue, wo sie im vergangenen Jahr Ärger mit den Behörden hatten, bekannt.

Am Montag zerstreuten sich die Clans jedenfalls offenbar in alle Richtungen. Rund 100 von ihnen campen derzeit in Eppstein-Niederjosbach, auf einem Campingplatz, auf dem die Traveller schon seit den 1970er-Jahren regelmäßig auftauchen. Der dortige Betreiber hat die Familien offenbar im Griff, wie er erläuterte, durch eine klare Ansprach mit den richtigen Familienmitglieder und einem lustigen Kartentrick. Denn er zeigt den Gästen im Stile eines Schiedsrichters bei Fehlverhalten nach einer ersten mündlichen Verwarnung die Gelbe und die Rote Karte. Letztere habe er aber kaum ziehen müssen, betonte er.

Die Kelkheimer Gastronomen werden diese Aussagen möglicherweise verwundern, denn mit der Ankunft dieser kleineren Gruppe Traveller begann bei ihnen der Ärger mit Zechprellerei und Aggressionen betrunkener Männer von der Insel. Das haben die Gustavsburger auch kennengelernt, aber offenbar gab es durchaus auch Traveller, die ganz normal und brav ihr Bier tranken, zahlten und wieder mehr oder weniger aufrecht gehend zur Ochsenwiese zurückmarschierten.

So hätten dann wenigstens die Gastwirte etwas Positives aus dem Besuch der Landfahrer gezogen. Die Stadt hat von den Gästen einen vierstelligen Betrag gezahlt bekommen, der aber nicht ganz ausreichen dürfte, um die Schäden restlos zu beseitigen. 
Und der Zirkus, der ab Mittwoch auf der Ochsenwiese seine Aufführungen geplant hatte und seine Termine auf September verschieben musste, wird seine Einnahmen auch bekommen.

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