Als der Geheimrat auf Ginsheim blickte

Historischer Rundgang durch den Ortskern mit Goethe und vielen Zuhörern

GINSHEIM (gus) – Wenn sich drei etablierte Vereinigungen zusammentun, kann etwas Großes dabei herausspringen. Der Evangelische Posaunenchor, die Vhs-Theatergruppe „Ignous“

und der Heimat- und Verkehrsverein hatten sich einen ganz besondern Beitrag zur 1225-Jahr-Feier Ginsheims ausgedacht und fanden damit vorvergangenen Sonntag großen Zuspruch.

Weit über 100 Interessierte wollten hören, was einst der Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe über Ginsheim schrieb, als er in einer Beschreibung von den Zuständen im Mainzer Raum während der Belagerung der Stadt im Jahre 1793 berichtete.

Goethe hatte die Belagerung der im Vorjahr von den Franzosen eingenommenen Stadt, die sich im März zur Mainzer Republik entwickelt hatte, durch die preußischen Truppen begleitet. Der damals 43-jährige Geheimrat, Leiter des Weimarer Hoftheaters und zuvor Mitglied der Regierung des Herzogtums, war erklärter Gegner der Französischen Revolution, folgte seinem an dem Feldzug beteiligten Herzog Karl-August im Sommer 1793 drei Monate lang und wurde so Zeitzeuge der Ereignisse.

Aufgeschrieben hat er diese Erinnerungen erst fast dreißig Jahre später – weniger aus schriftstellerischer Berufung denn als Auftragsarbeit, schlicht um ein paar Taler dazu zu verdienen, wie er offen zugab. Seine schriftstellerischen Fähigkeiten halfen ihm freilich enorm, die Darstellungen in eine Tagebuch-Form zu gießen, die Authentizität vermittelt. Hans-Benno Hauf schlüpfte beim historisch-literarischen Rundgang in ein Kostüm und stellte den berühmten Dichter dar, zitierte aus seinen Beschreibungen.

Nicht so einfach war es für Rudolf Guthmann, seine tiefreichenden Kenntnisse der Ortsgeschichte damit in Verbindung zu bringen, denn bauliche Zeugnisse jenen Jahres 1793 findet man in Ginsheim heute so gut wie keine mehr. Das Trio des Posaunenchors (Stefan Dürr, Erwin Frank, Tim Winterhalter) leitete am neuen Standort musikalisch über, der Ortslandwirt erläuterte anschließend, wie sich das Leben an dieser Stelle in früheren Jahrhunderten darstellte, oder auch was es mit den Straßennamen auf sich hat.

Wie sich noch aus dem Kenntnisstand Guthmanns einst das Leben in einem Bauerndorf wie Ginsheim abspielte, das mag Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch ziemlich ähnlich dem zu Goethes Zeiten gewesen sein, von daher war die Kombination Goethe/Guthmann nicht zu weit hergeholt. Die Ignous-Darsteller Sibylle Kreck und Manfred Lindinger rezitierten an den einzelnen Stationen aus dem Werk des berühmten Literaten, freilich ohne Ginsheim-Bezug, den es an wenigen Stellen des Goethe-Tagebuchs durchaus gibt.

Der zweistündige Rundgang begann an der „Eich“, an der Ecke Rheinstraße/Frankfurter Straße, und nahm seinen Weg über die Hauptstraße mit dem Alten Rathaus (Heimatmuseum) und dem Ende des 18. Jahrhunderts erbauten Gasthaus „Zur Post“ an der Schwarzbachmündung.

Von hier ging es die Promenade entlang mit dem Gasthaus Schäfer und der „Backesgasse“ und schließlich über die Station evangelische Kirche (1746, drei Jahre vor Goethes Geburt erbaut) und auf der Nonnenaue endete.

Die Überfahrt mit der Fähre „Johanna“ ging in aufziehende Sturmböen und regnerisches Wetter hinein zum Abschluss auf die Nonnenaue, so dass die übrig gebliebenen Teilnehmer auch noch etwas von der Unbill der Natur mitnehmen durften, der die Menschen in früheren Jahrhunderten deutlich stärker ausgesetzt waren als heute.

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