Er erinnert an einen kleinen Mann, unscheinbar von Gestalt, der vor fast hundert Jahren begann, Flörsheimer Gassen und Winkel zu zeichnen und zu malen.
Es ist das Jahr 1915. Der Erste Weltkrieg ist ein Jahr alt. Das Deutsche Kaiserreich glaubt noch an einen schnellen Sieg. Kriegsgefangene französische Soldaten werden auf die Dörfer verteilt. Sie sollen den Bauern bei der Feldarbeit helfen. Am 2. August 1915 steht auch ein Trupp auf dem Flörsheimer Bahnhof. Als Schlaf- und Aufenthaltsraum wird ihnen die Alte Kirchschule zugewiesen.
Einer der Aufseher ist Johann Weber. Woher er kommt, interessiert in Flörsheim keinen. Was er macht, schon mehr. Bald spricht es sich im Dorf herum: „Des is en Bildermoler.“ Und weil die Flörsheimer genau so aufgeschlossen sind wie er selbst, fühlt er sich bald heimisch und wird einer von ihnen.
Bescheiden lebt er in dem kleinen Häuschen mit Blick auf den Main und bald kann sich kaum mehr jemand erinnern, dass Johann Weber kein „echter“ Flörsheimer, sondern doch eigentlich ein Eingeplackter ist. Der Erste Weltkrieg geht vorbei und auch der Zweite Weltkrieg ist 1945 zu Ende. Johann Weber lebt immer noch in Flörsheim. Und Johann Weber malt. Häuser, Straßenzüge, Gässchen, Mainansichten. Er malt blühenden Flieder, er malt Narzissen und Rosen, er malt Stillleben, und er malt den Eltern gefallener Soldaten nach Fotografie ein Erinnerungsbild ihres toten Sohnes. In den 1940, 1950er Jahren gibt es kaum ein Flörsheimer Wohnzimmer, das nicht durch ein Weber-Bild verschönt ist. Weitgehend unbekannt allerdings sind Johann Webers Zeichnungen.
Als er am 30. Juli 1961, nach einem Unfall, im Flörsheimer Krankenhaus stirbt, hat er sich mit seiner Arbeit allerdings kein Vermögen erwirtschaftet. Ein Vermögensverwalter sichtet den Nachlass und in einem Flörsheimer Einzelhandelsgeschäft werden die Restbestände seiner Ölgemälde zum Kauf angeboten. An Webers Skizzen und Aquarellen besteht kein Interesse. Die kann man nicht an die Wand hängen. Die sind ja nicht mal gerahmt.
Heinrich Dreisbach junior, Verleger der Flörsheimer Zeitung in der zweiten Generation, war nicht nur Weber-Fan, wie wir heute sagen würden, er begeisterte sich für die zarten Aquarellfarben, für das „Weber-Beige“, wie er es in einem Artikel in der FZ beschrieben hat und für die Unterschiede im Handwerk bei den über 300 Blättern, die zum Teil beidseitig bemalt sind. Auch für die unterschiedlichen Motive. Denn mit den Skizzen wird plötzlich deutlich, dass Johann Weber seiner Heimat, dem Rheingau zwischen Eltville und Lorch stets die Treue hielt. Rheinansichten, Burgen, beeindruckende Ecken im Kloster Eberbach zeigen einen ganz anderen Weber, als den, vorwiegend als Blumenmaler, bekannten.
Gern hätte der Verleger der FZ schon vor 50 Jahren aus dem vorliegenden Material ein Buch gemacht und gezeigt, wozu Johann Weber fähig war, wenn es nicht nur darum ging, sein täglich Brot zu verdienen. Allein die aufwändige Drucktechnik stand der Vollendung der Idee im Weg. Und so wanderten die Arbeiten in eine Mappe und in eine große Kiste.
Erst heute, im Zeitalter von Internet und Scanner, ist es eher möglich, diese Idee und damit Webers Skizzen und Aquarelle hervorzuholen und zu zeigen. Bilder von zeitloser Anmut, Skizzen von unwahrscheinlicher Leuchtkraft. Arbeiten, die bisher erst eine Handvoll Menschen gesehen haben. Auch wenn einige Blätter inzwischen vergilbt sind, tut das der Schönheit und Intensität der Zeichnungen und Malereien keinen Abbruch.
Das Buch: Johann Weber Ein Flörsheimer Maler, mit Skizzen, Entwürfen und Zeichnungen des Künstlers, erscheint in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Flörsheim am Main in der neu geschaffenen Reihe: ,,Geschichte vor Ort” anlässlich des 50. Todestages des Malers und wird am 16. August 2011 um 20.30 Uhr von Bürgermeister Michael Antenbrink in der neuen Flörsheimer Kulturscheune vorgestellt (Öffnung 19.30 Uhr).
ISBN 978-3-9800541- 1-9, Subskriptionspreis 16,80 Euro, nach dem 16. August 19,80.
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