Gedanken zu den vielen Krisen unserer Zeit

Der 357. Verlobte Tag drehte sich inhaltlich um die Zweifel vieler Katholiken an ihrem Verhältnis zu Kirche und Glauben

Geistliche aus vielen Gemeinden kommen in der St.-Gallus-Kirche zusammen, um das einmalige Flörsheimer Glaubensfest mit zu begehen.

Geboten wurde in diesem Jahr eine Art Selbstschau der Geistlichen und der Gläubigen, der tief in die Krisensituation der katholischen Kirche blicken ließ. Das Thema des 357. Verlobtem Tages dürfte in seiner jahrhundertealten Geschichte der Veranstaltung alleine stehen mit seinem selbstreferentiellen und auch selbstkritischen Ansatz. „Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“ lautete das Motto am Montag, So weit, dass nicht mehr nur außenstehende Zweifler und Ungläubige, sondern geistliche Würdenträger solche für den christlichen Glauben und ihre Kirche existenzielle Fragen öffentlich stellen, ist es also gekommen. Es war die Aufgabe von Festprediger Markus Schmidt, diese Zweifel zu erläutern und Antworten auf sie zu geben. Ob ihm das gelang?

Der Frankfurter Pfarrer könnte ohne seinen Wechsel in die Metropole heute Geistlicher in der neuen Katholischen Pfarrei St. Teresa am Main sein, denn er war zuvor in der Hochheimer Gemeinde tätig. Seit 2007 kennt Schmidt daher schon den Verlobten Tag, diese ganz spezielle kirchliche Veranstaltung Flörsheims, die auf das Gelöbnis der Gläubigen aus dem Jahr 1666 zurückgeht, ihrem Überleben der Pestepidemie jenes Jahres mit einer jährlichen Prozession zu gedenken.

Damals gab es für die Menschen freilich überhaupt keine andere Möglichkeit, als an eine gottgegebene Ordnung zu glauben. Zweifel zu äußern an der Existenz Gottes und seine in der Bibel niedergeschriebenen Botschaften und Regeln war undenkbar und, wenn es doch so weit kam, höchst gefährlich. Heute hat sich die Situation grundlegend geändert. Die Heilige Schrift bleibt trotz sich verändernder Interpretationen und Auslegungen die Basis des christlichen Glaubens. Doch die Zeiten, da sich die Menschen das Denken und Zweifeln verbieten lassen und sich an den Ansagen der Geistlichen orientieren, sind vorbei.

Schmidt widmete sich dieser Krise der katholischen Kirche, „der scharenweise die Gläubigen davonlaufen“. Was angesichts von 522.821 Austritten im Jahr 2022 kein bisschen dramatisierend formuliert ist. Die, und das wäre dann der Auslöser des Problems, möglicherweise eben keine Gläubigen mehr sind. Schmidt glaubt offenbar nicht, dass die Austrittswelle, die in etwas abgeschwächter Form auch die Kollegen der Evangelischen Kirche trifft (380.000 Austritte im Jahr 2022), etwas mit den Positionen und dem Bild zu tun hat, das seine Institution in der Öffentlichkeit abgibt, wie es allgemein gesehen wird.

Die Menschen des Jahres 1666 sind für ihn Vorbilder des Durchhaltens statt Aufgebens. Die Einführung der Prozession habe den Grund gehabt, „dass die Menschen damals nicht verzweifeln und dem Mut verlieren wollten, sondern dass sie ganz und gar auf Gott vertrauen und standhalten in einer ungewissen Situation“. Heute werde angesichts der Krisen und Herausforderungen vieles in Frage gestellt. „Letztlich stellen sich nicht wenige Erdenbürger die Frage aller Fragen: wenn es einen Gott gibt, der diese Welt geschaffen hat und in ihr wirkt, wieso er das alles zulassen kann“.

Schmidt nahm die Bibelgeschichte des Exodus der Israeliten aus Ägypten, während dessen die für diesen Verlobten Tag titelgebende Frage aufkam (Buch Exodus 17,7) als Beispiel für eine Krisensituation, wie sie uns in unserer heutigen Zeit nur allzu bekannt vorkommt. Ob es eine nächste Corona-Pandemie geben werde, wann die aktuellen Kriege zu einem Ende kommen und „wann und ob sich die Klimasituation verbessert“, wisse niemand, betonte Schmidt. „Es sind wüste Zeiten der Ungewissheit“, hielt er fest.

Die Auflösung der Zweifel, wie sie auch die Flüchtlinge aus Ägypten angesichts ihrer Leidensgeschichte auf der Flucht durch die wasserlose Wüste zu überstehen hatten, sind für Schmidt die Begriffe „Hoffnung und Geduld“. Diese „zeugen davon, dass Gott in unserer Mitte ist“. Denn „auch die Israeliten brauchten viel Geduld und Ausdauer. Das Gebet hat sie gestärkt in ihrer schwierigen Lage“.

Schmidt empfiehlt den zweifelnden Gläubigen also, geduldig zu sein und Hoffnung über das Gebet zu finden. „Der Glaube ist es, der uns die Kraft dafür gibt.“ Auf Zweifel damit zu antworten, dass man geduldig und hoffnungsvoll gestimmt einfach am Ball bleiben soll: Dass diese Botschaft die Christen auf dem Absprung von der Kirche – was nicht identisch sein muss mit dem Absprung vom Glauben – überzeugen kann ihren Schritt zu überdenken, scheint doch eher eine vage Hoffnung des Geistlichen.

Gegen Ende des Gottesdienstes unter der Leitung von Pfarrer Friedhelm Meudt in der gut, aber nicht bis auf den letzten Platz gefüllten Galluskirche warteten schon viele weitere Gläubige vor dem Gebäude auf das Kernereignis jedes Verlobten Tages: der im Stile einer Fronleichnamsprozession durchgeführte Gang zu den vier Altaren, wobei jeweils eine Gruppe an den Stationen für eine zum Leitthema passende inhaltliche Ausgestaltung verantwortlich zeigte.

Zwischen 250 und 300 Flörsheimerinnen und Flörsheimer schlossen sich der Wanderung der Geistlichen mit dem Baldachin als schützendes Dach für das durch die Straßen geführte Allerheiligste an. Altarstation eins ist unverzichtbarer Bestandteil jeder Prozession, denn es ist die älteste in der Stadt zu findende Referenz an die Tradition, das Pestkreuz an der Ecke Hauptstraße/Untermainstraße. Die Gedanken dieser Lesung wurden im Laurentuis-Münch-Haus erarbeitet und von Seelsorgerin Monika Dittmann und der Leiterin der Senioreneinrichtung, Martina Eggebrecht, vorgetragen.

Wie die Israeliten im Buch Exodus „so sind auch wir im Laurentius-Münch-Haus Weggemeinschaft“, sagte Dittmann. Wie damals bei der Wüstenwanderung sei es auch im Seniorenhaus wichtig aufeinander zu achten, „auch den Letzten, den Schwächsten, denn Darbenden nicht aus den Augen, nicht aus dem Herzen zu verlieren“. Vorgelesen wurden auch Gedanken, die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses formuliert hatten.

Weiter ging es auf dem rund 1,9 Kilometer langen Prozessionsweg durch die Altstadt über die Hochheimer Straße in die Eisenbahnstraße und dort zum Haus 38. Hier zeichnete die Evangelische Kirchengemeinde für den Impuls verantwortlich. Auch nach dem Abschied von Pfarrer Martin Hanauer fühlt sich die Gemeinde dem Verlobten Tag verbunden, die Vakanz-Pfarrerin Anne Möller (Matthäusgemeinde Okriftel) und Kirchenvorstandsvorsitzender Günter Battenfeld trugen die Gedanken vor.

Für die Suche nach dem richtigen Weg gebe es inzwischen Navigationsgeräte. „Was uns fehlt, ist die Orientierung in unserem Leben, die Gewissheit, dass wir unseren Kindern und Enkeln eine Welt hinterlassen, in der auch sie eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand haben können“, sagte Möller. Das dürfe aber den Mut zu handeln nicht lähmen. „Wir müssen nicht warten auf eine Erleuchtung, die uns von irgendwoher gegeben wird“, heißt es in den Texten der Evangelischen Kirchengemeinde weiter.

Kurz war der Weg zum dritten Altar, die Christkönigkapelle in der Obermainstraße. Hier wurde ein Altar „Für die Menschen in unserer Stadt“ geboten. Entsprechend begann die Lesung mit einem Zitat aus dem Buch des Propheten Jeremias („Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch geführt habe“), gefolgt unter anderem von einem langen Gebet mit dem Kehrvers „Friede sei in deinen Mauern, Geborgenheit in deinen Häusern“.

Der letzte Altar fand sich wieder hinter dem Blumenteppich an westlichen Ende der Parkfläche am Konrad-Adenauer-Ufer. Hier kam wieder der Nachwuchs zu Wort. Zunächst wurde der traditionelle, vor dem Altar ausgelegte Blumenteppich erklärt, der mit einem fast wie eine Zielscheibe wirkenden orangenen Kreis in der Mitte zeige, wie Rita Hennemann und Vanessa Lutz erläuterten, „dass Gott, immer, wenn wir zusammenkommen, in unserer Mitte ist“.

Kaplan Matthias Böhm las zunächst aus dem Markus-Evangelium passend zum Altarthema „Die Segnung der Kinder“, Firmanden und Messdiener nahmen die Leitfrage des Verlobten Tages auf und verdeutlichten, dass „viele junge Menschen ganz ohne die Botschaft aufwachsen, dass es einen Gott gibt“. Auch, wenn das Leben auch so funktioniere, „so kann es doch unter der glatten Oberfläche zur inneren Wüste werden“. Der Durst der heutigen Menschen sei, angenommen zu werden. „Durst nach Gemeinschaft. Durst nach echter Liebe.“

Auch die katholische Kita St. Josef hatte unter den Titel "Gott bei mir" Beiträge für den Verlobten Tag erarbeitet, die auf einem Plakat zu lesen waren und auch vorgetragen wurden.

Pfarrer Meudt dankte an dieser Stelle den aktiven Helferinnen und Helfern, die die Durchführung des Verlobten Tages möglich machten und wünschte allen einen schönen restlichen Feiertag. Ganz fertig waren er und die anderen Geistlichen allerdings noch nicht mit ihrem Programm. Wie gewohnt, ging es vom Mainufer zurück in die Kirche, wo der Gottesdienst mit dem Te Deum weiter und bald darauf zu Ende ging. Das Schlusslied war das Orgel-Postludium „Fanfare für Nottingham“ von Naji Hakim.

Auch die Kirchenmusik war auf das Leitthema des Verlobten Tages ausgerichtet. So mit der „Messe in cis-Moll“ für Chor und Orgel von Loius Vierne (1901) sowie Arien und Chöre aus Felix Mendelssohns Oratorium „Paulus“ und der Symphonie-Kantate „Lobgesang“, die während des Gottesdienstes erklangen. Solist war Tenor Fabian Kelly.

Mendelssohns 2. Symphonie enthält den Chorsatz „Sagt es, die ihr erlöset seid von dem Herrn aus aller Trübsal“, der als Bezug zum Flörsheimer Gelöbnis gewählt wurde. Das „Paulus“-Oratorium mit der Arie „Sei getreu bis in den Tod“, war ein zweites Beispiel für den Schwur zum Verlobten Tag. Die Flörsheimer Kantorei wurde vom Kantor der Gemeinde St. Bonifatius in Wiesbaden, Johannes Schröder, an der Orgel begleitet. Die musikalische Leitung hatte wie gewohnt Diözesankirchenmusikdirektor Andreas Großmann inne.

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