Er war vom Stadtgarten wieder zurück in der Altstadt, so groß und bunt wie einst gewohnt, aber möglicherweise noch nicht ganz wieder zurück in den Köpfen der Menschen. Der 22. Flörsheimer Töpfermarkt bot am vergangenen Wochenende mit seinen 46 Anmeldungen von Ausstellern zum Großteil aus der näheren Region und ganz Hessen, aber auch aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wieder einen sehr vielseitigen Einblick in ein altes Handwerk. Das kämpft tapfer gegen alle Billigkonkurrenz vor allem aus Fernasien und versucht sich durch viel Kreativität und persönliche Note zu behaupten, war beim Rundgang schnell zu erkennen.
Dass es ein schwieriger Kampf ist, gegen die industriell gefertigte Massenware vornehmlich aus China wirtschaftlich zu bestehen, ist eine seit Jahrzehnten erlebte Situation. Die, die noch da sind und sich auch über Veranstaltungen wie den Flörsheimer Töpfermarkt am Leben halten, haben ihre Nischen gefunden. Im Bundesland haben sie auf den Wandel durch die Umwandlung der einstigen Handwerksinnung in den Verein „Keramik Hessen“ reagiert und so eine Basis für die Organisation einer Selbstvermarktung geschaffen. Zu der gehören Märkte wie jener auf dem Gallusplatz, in der Pfarrer-Münch-Straße und in der Kirchgasse unbedingt dazu, den eben auch Keramik Hessen veranstaltet.
Die Stände waren an beiden Tagen nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut besucht. Welchen Einfluss dabei das feuchte Wetter hatte, ist schwer zu sagen. Am Samstag, berichtete Stina Tummel, einzige Vertreterin bei der Veranstaltung, nicht nur aus der Stadt sondern aus dem ganzen Landkreis, habe sie sich über den mäßigen Anfang gewundert. Bis sie über ihre Kontakte erfuhr, dass in den umliegenden Gebieten ständige Regenschauer die Lust der potenziellen Besucher auf einen Ausflug ausbremste. „Wir waren in Flörsheim da wohl der blaue Fleck“, vermutet die Weilbacherin angesichts des weitgehend trockenen Samstags.
Am Sonntag war dann mit blauem Himmel nicht mehr viel, es tröpfelte auch in Flörsheim immer wieder unangenehm, das dürfte den Ausstellenden auch am zweiten Tag Kundschaft gekostet haben. Tummel war wie gehabt mit ihren „Weibsbildern“ am Fuße der Alten Kirchschule zu finden, wo sie die neuesten Variationen ihres Leitthemas präsentierte. Stammteilnehmerinnen und -teilnehmer machen einen Großteil der Beschicker aus. Am Plätzchen, den die Kirchgasse an ihrem östliche Ende bildet, fand sich allerdings eine Neuerung, der „Förderstand Junge Keramik“, bei dem sich Nachwuchs-Fachkräfte mit ihren Erzeugnissen hervorgehoben präsentieren durften.
Eine reguläre, sprich innungsgeleitete Ausbildung im Töpferhandwerk gibt es nach Tummels Wissen in Hessen nicht mehr, „der letzte Betrieb hat vor vier oder fünf Jahren damit aufgehört“. Lediglich aus Bayern sind ihr noch ausbildende Unternehmen bekannt. Das Online-Portal „Lehrstellenradar“ etwa wirft bei der Suche nach einem Lehrstellenangebot im weiteren Umkreis für die Berufe „Töpfer“ und „Keramiker“ keine Ergebnisse aus. Das Töpferhandwerk als eines der ältesten Handwerke der Menschheitsgeschichte muss heute über das Prinzip „Learning by Doing“ weiterleben. Und das funktioniert auf gutem Niveau, das Keramik Hessen zu bewahren sich aufgetragen hat, sehr wohl – wenn auch statt als Beruf wirtschaftlich gesehen zunehmend eher als ambitioniertes Hobby oder als Nebenerwerb.
Neben den Einnahmen aus den Verkäufen hatten die Ausstellenden auch die Chance etwas zu gewinnen. Die Künstlerinnen und Künstler durften sich mit Produkten und Installationen aus ihren Werkstätten zum Thema „verdreht“ einer Jury stellen, die bereits im Vorfeld des Marktes zusammentrat und die Siegerin des "Flörsheimer Keramikpreises" auswählte. Es war am Samstagmittag dann an Bürgermeister Bernd Blisch, ihr im Rahmen der offiziellen Eröffnung den Preis zu überreichen – und der ging an das Kunstwerk „Schlaufen“ von Birgit Großmann-Kraus. Die Nidderauerin hatte bei ihren Schleifengebilde die Vorgabe schon in ihrer Produktionstechnik („gedreht, verdreht, geformt“) erfüllt.
Andere Wettbewerber, deren Beiträge ab Samstagnachmittag in der Alten Kirchschule ausgestellt waren, setzten das Thema eher indirekt um. So waren auf Tellern abgewandelte, eben verdrehte und verdrehende Sinnsprüche eingebrannt wie „Was lange gärt wird endlich Wut“ oder „Kindermund macht Ohren wund“. Martin Burberg präsentierte einen Frühstückstisch, bei dem die Utensilien allesamt verkehrtherum platziert waren und der Künstler aus dem nordhessischen Jesberg-Hundshausen stellte die Frage: „Wir leben in einer verdrehten Welt: oben ist unten und unten ist oben – wie soll man da frühstücken?“ - Indem man die unnützen Becher und Teller umdreht oder auf die Verpflegungsangebote auf dem Marktgelände zurückgriff, die mit richtig herum servierten Tellern und Tassen verkauft wurden. Dazu trugen neben dem Förderverein St. Gallus, der auf dem Vorplatz Kaffee und Kuchen anbot, auch die mit Suppen gefüllten Schalen der „Empty-Bowls“-Aktion bei, die Keramik Hessen wieder in den Markt einband. Jeder Stand musste fünf Schalen einbringen, die Suppe kochten und spendeten Mitglieder der Katholischen Arbeitnehmerbewegung. Der Erlös, hatte der Verein vorher festgelegt, geht an das kolumbianische Straßenkinderprojekt "Ein Zuhause für Kinder".
Allzu optimistisch blickt die Weilbacherin Tummel nicht auf die Zukunft ihres Berufsstandes voraus. „Wir haben uns alle selbstständig gemacht und sind Einzelkämpfer“, erläutert sie. Hessen Keramik bietet da auch eine Art Gemeinschaft dieser Solisten. Daheim in der Werkstatt ist wie bei ihr mit ihren „Weibsbildern“ bei vielen Anbietern nicht etwa der Versuch angesagt, durch eine möglichst große Vielfalt und Produktbreite für jeden etwas bereitzuhalten. Wie der Rundgang auf dem Töpfermarkt zeigte, scheint bei vielen vielmehr die Konzentration auf bestimmte Themen oder Linien angesagt, durch die sie sich ein unverwechselbares Markenzeichen schaffen.
Tummel ist übrigens keineswegs Feuer und Flamme, wenn sie von Schulen und Kitas angefragt wird, den Kindern doch mal ihr Handwerk im Rahmen des Unterrichts nahezubringen. Angesichts der mangelnden beruflichen Perspektive macht dieses ernsthafte Beschäftigen mit dem Töpfern wenig Sinn, findet Tummel. Ihr Alternativvorschlag: „Gebt den Kindern Ton.“ Mit diesem Werkmaterial etwas anzufangen macht einfach allen Spaß, dazu muss nicht gleich an einer Drehscheibe oder beim freien Formen ein künstlerisch wertvoller Gegenstand entstehen, für den es am Ende auch noch Noten gibt.
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