An seiner Kunst durfte jeder teilhaben

Der Flörsheimer Künstler Thomas Reinelt ist am vergangenen Donnerstag im Alter von 72 Jahren gestorben

Noch einmal war Reinelts Skulpturengruppe "Ambivalenz" im April in der Stadthalle zusehen, als sich der Verein "Für Flörsheim" auflöste.

Als Flörsheimer Stadtkünstler, hatte Thomas Reinelt einst in einem Porträt zu seinem 50. Geburtstag gegenüber dieser Zeitung geäußert, sehe er sich eigentlich nicht. Das ist insofern nachzuvollziehen, als er sich bei den Themen, die er in seinen Kunstwerken verarbeitete, zumeist nicht auf lokale Begebenheiten fokussierte. Das ist auch leicht an Reinelts Werken abzulesen, die in der Öffentlichkeit am stärksten präsent sind: zahlreiche Rabenskulpturen zieren Regenrinnen, Hausdächer und Mauern Flörsheimer Häuser. Seine „Rabenmenschen“, unverwechselbare Metallskulpturen, greifen kritisch die aktuellen Entwicklungen unserer Gesellschaft auf.

Stadtkünstler war er aber doch, denn es ist ungewöhnlich, wie prägend der am Donnerstag im Alter von 72 Jahren verstorbene Künstler mit seinen Arbeiten zum Bestand an Kunstwerken in seiner Stadt beigetragen hat, durch die er noch sehr lange in der Erinnerung der Flörsheimerinnen und Flörsheimer bleiben wird. Thomas Reinelt ist schon seit Jahrzehnten der Name, der einem sofort einfällt, wenn es gilt die Kulturszene der Stadt zu beschreiben. Denn Reinelt, 1950 in Berlin geboren, der schon als Baby nach Weilbach kam und später mit seiner Ehefrau Rosi in der Flörsheimer Hauptstraße Wurzeln schlug, ließ sich stets auch von seiner Stadt inspirieren. Nicht zuletzt von der hier stark präsenten Fastnachtskultur. Zu sehen ist das am Bahnhofvorplatz, wo er den Flerschemer Fastnachtsruf „Hall die Gail“ in Szene setzte.

Wenige Meter daneben findet sich seine jüngste, erst Ende November 2021 enthüllte Skulptur, die den politischen Menschen Thomas Reinelt repräsentiert. Die Kofferskulptur am Bahnhofseingang war in Zusammenarbeit mit dem Verein Stolpersteine Flörsheim und einem Projekt des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums entstanden und erinnert an die Deportationen verfolgter Flörsheimerinnen und Flörsheimer während des Nationalsozialismus. Für das Thema hatte er sich nicht zum ersten Mal engagiert. So im Januar 1993, als es wieder einmal Vandalismus gegen die Grabsteine des jüdischen Friedhofs gab. Damals entstand eine Reineltsche Schriftgrafik. Titel: „Die Schuld – Die Dummheit“, gefolgt von „Der Stein ist schuld“, denn die Frage, wer für die Zerstörungswut verantwortlich war, blieb unbeantwortet, wie schon einmal nach dem Zweiten Weltkrieg wollte es niemand gewesen sein.

Ein großes Werk im Stile der „Rabenmenschen“, das alle Flörsheimerinnen und Flörsheimer kennen, wurde 2010 zusammen mit dem neu gebauten Pyskowice-Kreisel eingeweiht. Es ist Reinelts Beitrag zur Annäherung mit der polnischen Partnerstadt, die er in seiner Ansprache als „Weg und Zeichen für ein geeintes und sicheres Europa“ bezeichnete. Noch im April war, effektvoll beleuchtet, die „Ambivalenz“ in der Stadthalle zu sehen, das Ergebnis einer dreijährigen Arbeit Reinelts. Die Skulpturengruppe „Ambivalenz“, bestehend aus drei je 3,20 Metern hohen Rabenmenschen, war nie an einem festen Standort und schon an einer Reihe von Orten, so auch beim Rüsselsheimer Hessentag, im Hessischen Landtag und selbstverständlich im Hof des Künstlers zu sehen. Vielleicht das einprägsamste Werk Reinelts. Sehr zur Freude des Künstlers wird das Kunstwerk seinen endgültigen Standort vermutlich in Darmstadt haben.

Am liebsten, sagte Reinelt einst, hätte er „Ambivalenz“ am Terminal 1 des Frankfurter Flughafens fest installiert, denn die Skulpturengruppe greift das regionale und gerade Flörsheim betreffende Thema Fluglärm auf. Da gibt es den Rabenjungen, der dazu ansetzt, einen völlig geräuschlosen Papierflieger loszuschicken, wie es Reinelt als Kind häufiger tat. Rabenmensch zwei hält sich vom Lärm der „echten“ Flugzeuge die Ohren zu, sein Blick geht nach oben. Und Rabenmensch drei ist ein typischer Vertreter der Verursacher der Belästigung, der Business-Typ mit Rollkoffer, der gleich zu einem wichtigen Meeting abhebt. Passend daher, dass die Skulpturengruppe bei der Versammlung zur Auflösung des Vereins „Für Flörsheim“, der sich letztlich vergeblich der Bekämpfung des weiteren Flughafenausbaus gewidmet hatte, in der Stadthalle präsent war.

In zumindest einem Fall nutze Reinelt aber Fluch und Segen der Luftfahrt sogar selbst, um seine Kunst international zu verbreiten. Eines seiner Werke schaffte es per Luftkurier bis nach Kreta. 1996 erschuf der Künstler eine Metallskulptur, die einen Stier, religiöses Symbol der Minoer, die erste Siedler auf der Insel waren, darstellt. Aufgestellt wurde es in einer Ferienanlage auf Kreta, die von einem deutsch-griechischen Paar betrieben wird.

Reinelt war immer ein Künstler, der sich nicht scheute, seine Werkstatt in der Hauptstraße für neugierige Besucher zu öffnen, etwa an den Tagen des offenen Ateliers. Hier erfuhren die Besucher, die Reinelt als Skulpturenerschaffer kennen, auch von seinen künstlerischen Wurzeln, denn die liegen in der Lithografie. In diesem Handwerk machte er nach der Schulzeit eine Ausbildung, studierte dann ab 1972 am Frankfurter Städel, seit 1977 war er als freischaffender Künstler tätig.

Während die Skulpturen, so auch im Regionalpark und am Mainufer zu sehen, geschaffen wurden um jedem ins Auge zu fallen, der an dem Aufstellungsort vorbeikommt, muss man sich der eigentlichen Leidenschaft Reinelts schon bewusst nähern, um sie kennenzulernen, denn sie sind vor allem in Ausstellungen und an Museumswänden zu finden. Die verschiedenen Drucktechniken beschäftigten Reinelt immer wieder, im Wohnhaus in der Hauptstraße hatte er eine Druckerwerkstatt eingerichtet, in der er sich der Lithografie widmete.

Seine selbst gebaute Steindruckpresse verhalf nicht zuletzt den Gruppen und Projekten, die er unterstützte, stets zu künstlerisch wertvollen Plakaten und Transparenten. Gerne führte er dieses alte Kunsthandwerk interessierten Besuchern vor.

Eine eher zufällige Begebenheit sorgte dafür, dass das Hause Reinelt auch als historische Stätte in den Blick kam, denn im Kellergewölbe des Gebäudes entdeckten Thomas und Rosi Reinelt nach dem Erwerb der Hofreite im Jahr 1983 einen alten Betonrahmen, aus dem sich in einem Jahr Buddelarbeit Stufe für Stufe eine Anlage herausschälte, die sich schließlich als „Mikwe“, ein jüdisches Ritualbad, entpuppte. Ein einzigartiges Relikt des in den 1940er-Jahren radikal ausgelöschten jüdischen Lebens in der Stadt aus dem 17. oder 18. Jahrhundert. Der Kreis der Beschäftigung des Ehepaares mit den geschichtlichen Themen wie dem jüdischen Leben in ihrer Stadt schloss sich für Reinelt durch die Zusammenarbeit mit der Gymnasialklasse des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums während der Entstehung der Kofferskulptur. Kein Rabe, sondern ein Koffer, aber im Metalllook und mit seiner tiefgehenden Botschaft ein sehr typisches Werk von Thomas Reinelt, mit dem er sich den Flörsheimerinnen und Flörsheimern zuletzt präsentieren durfte.

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