Wenn die Zahlen nicht mehr stimmen

Am Freitag wurde auf Anweisung des RP Darmstadt der Tempo-30-Abschnitt auf der Raunheimer Straße aufgehoben

Kein 30er-Schild mehr: Auf der Raunheimer Straße in Weilbach gilt seit Freitag auf Weisung des RP wieder Tempo 50.

Der Trend geht in den Innenstädten zu Tempo 30, in ganzen Zonen oder einzelnen Gassen. Das reicht für das Vorwärtskommen der motorisierten Fahrzeuge und hält die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer in Grenzen. Auch bei der Raunheimer Straße in Weilbach regten sich in der Vergangenheit immer wieder Stimmen, die genau wegen der Gefährdungslage, aber auch der Lärmbelastung der Anwohner insbesondere durch den LKW-Verkehr auf der gesamten Strecke ab der Frankfurter Straße bis zum Ortsausgang die Einführung von Tempo 30 forderten. Diesen Willen hat die Stadt entsprechend beim Regierungspräsidiums (RP) Darmstadt bekundet.

Noch in der jüngsten Sitzung der Verkehrskommission am 28. Februar hatte die Verwaltung betont, dass die Stadt bei der gerade laufenden vierten Runde des Lärmaktionsplanes, im Rahmen der ersten Öffentlichkeitsbeteiligung, Tempo 30 auch im Abschnitt der Raunheimer Straße ab der Friedhofsstraße bis zum Ortsausgang beantragen werde, ebenso übrigens für den Abschnitt der Mainzer Straße von der Kreuzung Rüsselsheimer Straße bis zum Ortsausgang nach Wicker.

Tatsächlich ging es nun aber andersherum. Die Beschränkung auf dem oberen Teilabschnitt bis zum Alten Friedhof wurde aufgehoben, die Tempo-30-Schilder am Freitag abgehängt. Das Entsetzen in einer Stellungnahme von „Weilbach wehrt sich“ und die Erklärungsversuche der Stadt stehen sich nun gegenüber. Als kommunale Verwaltung bemüht sich das Rathaus, sich auf die Schilderung der fachlichen Gründe für die Entscheidung zu beschränken, die freilich nicht auf die Idee der Flörsheimer Ämter zurückgeht, sondern auf eine Weisung des RP Darmstadt.

Erst vor drei Jahren war mit den Messungen im Rahmen der Neufassung des Lärmaktionsplans festgestellt werden, dass es auf dem ersten Abschnitt der Raunheimer Straße zu laut zugeht. Fördermittel für passiven Lärmschutz für die betroffenen Anwohner war die eine Folge, die andere, dass die Stadt sich um eine Ausweisung eines Tempo-30-Bereichs im oberen Abschnitt bemühte, wo die Messerwerte erhoben worden waren.

Mit Erfolg, der nun aber wieder flöten ging, denn – so die Begründung des RP für die Verfügung zur Aufhebung – die Zahlen geben eine Beschränkung nicht mehr her. Das ganze nennt sich „DTV-Werte“ (Durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke), die seien in der für ein Tempo 30 erforderlichem Überschreitung der Grenzwerte nicht mehr gegeben. Gegen diesen Bescheid sei kein Einspruch oder rechtliches Mittel seitens der Flörsheimer Verwaltung möglich, betont das Rathaus, „die Stadt muss dieser Anweisung nachkommen“.

Die Datenbasis für die Entscheidung ist hoch interessant. Sie beruht auf den Flörsheimer Zahlen aus der bundesweiten Straßenverkehrszählung aus dem Jahr 2021, die Hessen Mobil veröffentlicht hatte. In der Raunheimer Straße zwischen Kreuzung Frankfurter Straße und alten Friedhof ist demnach die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke – eben der DTV-Wert - mit 4.852 Fahrzeugen täglich deutlich geringer ausgefallen als der Vergleichswert von 2015, der bei 5.239 Fahrzeugen lag.

Bürgermeister Bernd Blisch betont, die Stadt werde „nach Abschluss der notwendigen Vorarbeiten“, wohl Mitte April, Geschwindigkeitsmessanlagen in der Raunheimer Straße auf Höhe der Jahnturnhalle installieren. „Weilbach wehrt sich“ kann sich als Bürger-Interessenvertretung deutlicher zu der Erhebungsgrundlage äußern. Offenbar seien bei den 2021er-Zahlen von Hessenmobil die Werte zum Schwerverkehr unberücksichtigt geblieben, die auch in der Raunheimer Straße zugenommen hätten, vermutet Sprecher Werner Siebel. Bei dem festgestellten Rückgang des DTV um gut sieben Prozent sei unberücksichtigt geblieben, dass 2021 coronabedingt auch in der Raunheimer Straße weniger Verkehr geherrscht habe. „Zwischen PKW- und Schwerverkehr zwischen der Frankfurter und der Industriestraße wird offenbar auch nicht unterschieden“, vermutet Siebel.

Laut der Verkehrszählung des Jahres 2021 habe der LKW-Verkehr zwischen Weilbach und Eddersheim, bei der die Zählstelle im Nachbarort eingerichtet war, im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent zugenommen. Unlogisch findet „Weilbach wehrt sich“, dass das RP einerseits mit der Aufhebung des Tempo-30-Abschnitts mehr Lärmemissionen zulasse, andererseits aber darauf bestehe, dass vor dem Neubaugebiet an der Jahnturnhalle eine drei Meter hohe Lärmschutzwand errichtet werde, wie einst auch schon in der Frankfurter Straße. „Wie passt das zusammen?“, fragt Siebel.

Lieber sähe es „Weilbach wehrt sich“, wenn das RP sich mit den Genehmigungen für die Umgehungsstraße befassen würde. Deren Bau werde die Diskussion um Tempolimits schließlich überflüssig machen. Stattdessen mache das RP den Anwohnern in der Raunheimer Straße „das Leben schwerer und gefährlicher“. Auch gegen die Lärm- und Schadstoffbelastung der Anwohner an B519 und B40 helfe nur die Umgehung. „Aber das scheint niemanden zu interessieren, darum kümmert sich das RP nicht“, kritisiert die Bürgerinitiative. „Wo bleibt da die Gesundheit der Menschen?“

In einem anderen Gebiet der Stadt gibt es die gegenteilige Entwicklung. In der Wickerer Kirschgartenstraße habe das RP ebenfalls im Rahmen des Lärmaktionsplans seine Zustimmung für eine Ausweisung als Tempo-30-Bereich signalisiert, teilte die Verwaltung in der Verkehrskommission mit. Dies allerdings nur zwischen dem Kreisel und der Ortsausfahrt in Richtung Hochheim. In die andere Richtung führt die Kirschgartenstraße an der Grundschule vorbei, aber das ist offenbar kein hinreichender Grund auf Tempo 30, jedenfalls nicht auf Basis der DTV-Werte. Auf dem Abschnitt säumt auch keine direkte angrenzende Bebauung den Straßenrand. Dennoch ist es, vor allem an der Ampelkreuzung Quellenstraße, ein Schulweg von Grundschulkindern.

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