Der Niedergang beginnt

 

 

 An den hessischen Ministerpräsidenten
Volker Bouffier
Hessische Staatskanzlei
Georg-August-Zinn-Str. 1
65183 Wiesbaden
Offener Brief über unerträglichen Fluglärm und die menschenverachtende Ausbaupolitik der schwarz-gelben Landesregierungen
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Bouffier,
in den fast 1200 Jahren seit seiner Ersterwähnung hat Flörsheim zahlreiche schreckliche Heimsuchungen erleben müssen. Der Ort hat sich jedoch immer wieder davon erholen können – auch von der Pestepidemie, die 1666 ihren Höhepunkt hatte und deren Ende noch heute als „Verlobter Tag“ in der Stadt gefeiert wird.

An der neuesten Heimsuchung waren und sind Sie und Ihre beiden schwarz-gelben Regierungen maßgeblich beteiligt. Natürlich wurde ein Flughafenausbau auch bereits von der sozialdemokratisch geführten Regierung davor verfolgt, aber Ihre Regierungen sind dafür verantwortlich, dass die jüngste Heimsuchung der Stadt brutalstmöglich ausgefallen ist.

 

Auch jetzt, da die Inbetriebnahme der neuen Landebahn Nordwest große Teile der Bevölkerung traumatisiert hat, weil kaum jemand mit solch brutalen Auswirkungen Ihres Vorgehens gegen beträchtliche Teile des zentralen Rhein-Main-Gebiets gerechnet hat, verfolgt Ihre Regierung – und da unterscheiden Sie sich von den Oppositionsparteien im Landtag – auch noch das gerichtlich eingeforderte und vorläufig verhängte Nachtflugverbot zu kippen, indem Sie Ihren Minister Posch gegen das Nachtflugverbot klagen lassen. Ihre Beteuerungen, Sie bräuchten Rechtssicherheit, sind dabei übliche Vernebelungen. Wenn der politische Wille zu einem – wenigstens minimalen – Ausgleich zwischen Wirtschaftsinteressen und dem Schutz der betroffenen Bevölkerung vorhanden wäre, könnte man die planerischen Vorgaben durch Gesetze und entsprechende Ausweisungen der Landesplanung schaffen. Das wollten und wollen Sie aber nicht.
Gibt es eine moralische Rechtfertigung für solches Handeln? – Arbeitsplätze und Jobmaschine klingt es seit Jahren gebetsmühlenhaft. Wie viele qualifizierte und auch mindere Arbeitsplätze übrig bleiben, wenn Fraport neue Synergien zur Verschlankung des Personalbestands genutzt hat, wird sich deshalb nicht zeigen, weil eine Reihe von anderen Faktoren auf die Anzahl der Jobs einwirkt. Deshalb glauben Sie, ungestraft behaupten zu können, was Ihnen in den Kram passt, da es ja nicht nachprüfbar sein wird. Es ist bei solchen Versprechungen in der Vergangenheit auch jedes Mal weniger am Ende herausgekommen als vorher behauptet. Das ist Ihnen aber egal, die bloße Behauptung reicht Ihnen schon – Propaganda nennt man das.
Versprechungen waren es auch, die die Regierung Koch – und Sie waren an dieser beteiligt – gegeben hat: Ausbau gegen Nachtflugverbot. Das Versprechen hielt nur so lange, bis das Parlament den Ausbau beschlossen hatte, dann wurde das Versprechen auf der anderen Seite der Waagschale einfach kassiert/ zurückgenommen/ besser: gebrochen. Roland Koch, Sie, Ihr Minister Posch und andere spielen uns seit Jahren ein Spiel von Tricksereien und Rosstäuschungen vor, wie es der schwarz-gelben Regierung in dieser Qualität vorbehalten blieb: Politik als schmutziges Geschäft.
Die simple Formel Arbeitsplätze für viele – Sonderopfer für eine Minderheit ist schon schlimm genug, insbesondere, wenn die geschädigte Minderheit auf dem wirtschaftlichen Schaden sitzen bleibt, weil auch bei Schadensersatzregelungen getrickst wird (z.B. niedrige Ankaufbeträge beim Casa-Programm, die den neuen Fluglärm bereits berücksichtigen). Dabei wollen Sie ja gar nicht alle materiellen Schäden ausgleichen, weil wesenliche Teile gar nicht anerkannt werden, obwohl sie bestehen. 
Aber sprechen Sie mit Ärzten und kirchlichen Seelsorgern im betroffenen Gebiet. Sie werden von Menschen hören, die nervlich am Ende sind, von Leuten, die laut schluchzend Rotz und Wasser heulen, weil sie nicht wissen, wie es für sie weitergehen kann. Die nicht die Mittel haben, die Lärmzone – Flörsheim – zu verlassen, obwohl sie es nicht mehr aushalten. Andere leben ausschließlich von zwei Mietwohnungen in ihrem Haus und haben kein weiteres Einkommen. Sie bangen um den Verbleib ihrer Mieter, die es aber auch nicht mehr aushalten können. Wer soll hier noch Miete zahlen? – Verzweiflung.
Wirtschaftliche Not ist aber noch nicht das größte Problem, das Sie mit Ihrer menschenverachtenden Ausbaupolitik verursachen. Was ist mit der Gesundheit derjenigen, die dem unerträglichen Krach und den gesundheitsschädlichen Schadstoffen ausgesetzt sind? – Natürlich macht Fluglärm krank! Das wissen Sie natürlich auch, wollen es aber lieber nicht so genau wissen. Die groß angelegte Untersuchung des Epidemiologen Prof. Dr. Greiser im Umfeld eines anderen deutschen Flughafens kennen Sie natürlich. Warum sperrten Sie sich dagegen, eine solche Untersuchung auch für die Umgebung des Frankfurter Flughafens durchführen zu lassen? – Stattdessen vernebeln Sie und Fraport durch Untersuchungen, bei denen wesentliche Fragestellungen so gestellt sind, dass das gewünschte Ergebnis heraus kommt: die Unschädlichkeit des Lebens im Lärm- und Schadstoffbereich – könnte in der vorhandenen Dosis ja auch „Dünger“ sein. 
Sie wollen das Ergebnis einer seriösen Untersuchung jedenfalls nicht auf dem Tisch haben. Was hätten Sie auch gemacht, wenn – wie in Köln/Bonn – die Häufigkeit von Herz/Kreislauferkrankungen und Brustkrebs bei Frauen usw. als wesentlich höher nachgewiesen worden wäre? – Dann lieber offiziell nicht wissen, damit man Wissen bestreiten und weiter Fakten beim Ausbau schaffen kann.
„Arbeitsplätze für Viele und Sonderopfer für eine Minderheit“ heißt in Wirklichkeit: „Arbeitsplätze gegen Gesundheit“ – wohlgemerkt für jeweils unterschiedliche Gruppen. Dabei ist es ethisch unerheblich, dass die Minderheit „nur“ 40, 30 oder 20 Tausend Opfer oder auch wesentlich weniger ausmacht, während von den wirtschaftlichen Vorteilen fast das ganze Land profitieren soll. Es handelt sich um Menschenopfer, die Sie darbringen, und Menschenopfer sind unmoralisch – gleichgültig in welcher Quantität.
Ich weiß, dass der Flughafenausbau von einer Mehrheit der Parlamentarier beschlossen worden ist. Keiner der Befürworter, auch kein Mitglied der Regierung, hat sich vor Ort bei uns kundig gemacht, hatte den Mut, den Einladungen nach Flörsheim und Raunheim zu folgen, bei denen der Krach aus der Luft und unsere Prognosen an Beispielen demonstriert worden sind. Man wollte das nicht hören, weil man längst wusste, was man wollte: den Flughafen ausbauen – um jeden Preis. Und anhören wollten Sie sich das auch deshalb nicht, weil Sie dann hätten zugeben müssen, dass diese Belastung unerträglich ist.
Bei Gericht ist man ähnlich mit den Betroffenen umgegangen. Fällt Ihnen ein nachvollziehbares Argument ein, weshalb die Flörsheimer Seite – Stadt oder betroffene Privatpersonen – ihre Argumente vor Gericht nicht vortragen durften? – „Schon x-mal von anderen Betroffenen gehört“ – von wem? „Nicht genug betroffen??“ – im Ernst? Alles nicht gut genug als Ausrede: also bitte weitersuchen oder das Ganze ohne ernsthafte Begründung stehen lassen, wie es geschehen ist. Die Justiz im Dienste der Exekutive; so war das mit der Gewaltenteilung nicht gemeint. Von dankbaren Abhängigkeiten schrieb ein Journalist einer Frankfurter Zeitung in seinem Kommentar.
Nicht Ihr Problem? – Stimmt zum Teil, jedenfalls Ihr Stil zu tricksen.
Fast 1.200 Jahre lang bestand Flörsheim bislang alle Heimsuchungen. Von der letzten wird sich die Stadt nicht mehr erholen – es sei denn, ein Wunder geschieht. Teile der Bevölkerung – wer es sich leisten kann – werden die Stadt verlassen. Es sind die Beweglichsten und die Leistungsträger, die eine Stadt braucht. In die in ihrem Wert verfallenen Häuser und Mietwohnungen werden solche nachrücken, die sich nichts anderes leisten können oder die ein Schnäppchen machen wollen und die die Widrigkeiten dafür in Kauf nehmen – vielleicht auch nur auf Zeit.
Die Sozialstruktur wird sich binnen weniger Jahre deutlich verändern, und dann werden weitere wegziehen, weil diese Veränderung einen weiteren Grund darstellt. Der Niedergang beginnt, und er hat schon begonnen.
Flörsheim ist am meisten betroffen. Aber auch Eddersheim, Hochheim, Wicker, auf der anderen Flughafenseite Frankfurter Stadtteile, gehören zu den Hauptgeschädigten. Und dann können Sie die Region ausweiten und noch weiter ausweiten – Klagen über Klagen. Schade, dass die Rheinland-Pfälzer Ihnen bei der Wahl nicht Ihre Stimme verweigern können!
Sie alle sollen nach Ihrem Willen Opfer bringen für behauptete Arbeitsplätze, für Steuereinnahmen nach Hessen, von denen ein Teil über den Länderfinanzausgleich gleich wieder abfließen wird. Hätte man nicht anderen Bundesländern auch einen Teil des Geschäfts überlassen können, bei denen die Belastungen leichter unterbringbar gewesen wären, und hätte man dadurch nicht sowohl die Belastungen wie auch die Einnahmen besser und gerechter verteilen können? – Sie wollten das natürlich nicht. Für mich ist das der Beweis, dass es Kirchturmdenken nicht nur in der Kommunalpolitik gibt. 
In einem im Zorn über die vom Land Hessen auf uns gebrachte Apokalypse habe ich ein Pamphlet verfasst und verbreitet mit der fett gedruckten Zeile „Hessen ist Scheiße“. Ich habe dem hinzugefügt, dass ich mich nicht mehr mit diesem Bundesland (meinem Geburtsland) identifizieren kann und mich für Ziele des Landes und des Gemeinwohls in diesem nicht mehr engagieren werde. Außerdem, dass ich von einem Besuch und der Inanspruchnahme hessischer Einrichtungen abrate, natürlich auch von der des Frankfurter Flughafens.
Bei diesem „Versprechen“ bleibe ich. Und ich warte auf das Ende der menschenverachtenden Politik, wie sie von Ihrer Regierung und den sie tragenden Parteien vertreten wird.
Hochachtungsvoll
Professor Horst Thomas 
Rollingergasse 3
Flörsheim am Main
Architekt, Stadtplaner, Denkmalpfleger

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