Der Ausstieg ist beschlossene Sache Kreiskoalition wendet sich von Überlegungen einer Weiternutzung der Wickerer Deponie ab

Eine Woche vor der Kreistagssitzung, bei der der RMD eigentlich der Auftrag zum Genehmigungsantrag für das Projekt "Deponie auf Deponie" erteilt werden sollte, zogen die Koalitions-Fraktionschefs (v.l.) Dirk Westedt (FDP), Karin Schnick (Grüne) und Frank Blasch (CDU) nun die Notbremse. Mit am Tisch: Aufsichtsratschefin Madlen Overdick,

Kreiskoalition wendet sich von Überlegungen einer Weiternutzung der Wickerer Deponie ab

Die Geschäftsführung der Rhein-Main-Deponie GmbH (RMD) war aufgrund eines Auftrags des Aufsichtsrates seit März 2019 damit beschäftigt, ein Geschäftsmodell zu erarbeiten, das weitere Einnahmen aus dem Betrieb ihrer Wickerer Deponie sichert. Trotz der längst eingeläuteten Stilllegungsphase der Anlage ging das, was sich als Modell dabei herausschälte, weit über die Geschäfte hinaus, die nötig sein werden, um den verbleibenden Auftrag zu erfüllen – die Annahme der vor Ort aufbereiteten Schlacke zum Abdichten und Modellieren des Deponiekörpers, gefolgt von einer Rekultivierung.

Massive Proteste besonders aus Hochheim, Massenheim und Wicker, wo die Bürger sich offenbar mit großer Mehrheit darauf freuten, dass mit der Stilllegung die jahrzehntelangen Belastungen durch den Anlieferverkehr und diverse Stäube ein Ende haben würden, brachen sich schon Ende des vergangenen Jahres und im Februar bei Bürgerinformationsveranstaltungen Bahn. „Die hohe Emotionalität bei diesen Veranstaltungen war sehr überraschend“, sagt der Hochheimer Bürgermeister Dirk Westedt im Rückblick. „Das hatten die Parteien so nicht erwartet.“

Ob es dieser spürbare Druck der Bürger aus den Anrainerkommunen oder die vor einigen Wochen begonnene, inhaltlich dezidierte Aufklärungskampagne des Hochheimer Vereins „Gegenwind 2011“ war, der die Koalitionsfraktionen CDU, Grüne und FDP nun zu ihrer Entscheidung brachte, können wohl selbst die drei Fraktionschefs nicht so genau sagen. Eine Woche vor der Kreistagssitzung jedenfalls, für die mehrere Anträge zum Thema Deponie Wicker vorliegen, positionierte das Dreierbündnis sich nun eindeutig und erklärte dem von der RMD-Geschäftsführung verfolgten Projekt „Deponie auf Deponie“ eine klare Absage.

Die ursprünglich für den kommenden Montag (15.) vorgesehene Beschlussvorlage, laut der der RMD die Zustimmung zur Einleitung des Genehmigungsverfahrens für das Projekt "Deponie auf Deponie" erteilt werden sollte, hat es nicht auf die 34 Punkte umfassende Tagesordnung geschafft. Formal definiert die Koalition ihren Antrag als Änderungsantrag zum SPD-Papier, das bereits vor Ostern vorlag und als erstes unmissverständlich den „Stopp der Deponie auf der Deponie in Flörsheim-Wicker“ fordert.

Keine neuen Kosten

Aber welche Koalition stimmt in einem so bedeutungsvollen Thema schon dem Antrag einer Oppositionsfraktion zu? Das Dreierbündnis möchte eben seine eigene Marke beim Ausstiegsszenario aus den Plänen durchsetzen. Der Antrag enthält zwei Punkte: Zum einen lehnt der Kreistag nach Vorstellungen der Koalition „ein Projekt ,Deponie auf Deponie‘ in Wicker ab" und fordert die „jeweils zuständigen Organe“ der RMD dazu auf, „keine weiteren, mit Kosten verbundenen Untersuchungen eines solchen Projekts vorzunehmen“. Zum Zweiten soll der Kreisausschuss im zuständigen Fachausschuss die Nachsorgekosten für die Deponie „benennen und darlegen, auf welchem Wege diese gedeckt werden können“.

Die Fraktionsvorsitzenden Frank Blasch (CDU), Karin Schnick (Grüne) und Dirk Westedt (FDP) verkündeten das Aus für das Projekt im Kreishaus zusammen mit Landrat Michael Cyriax (CDU) und der zuständigen Kreisbeigeordneten und Dezernentin Madlen Overdick (Grüne), zugleich Vorsitzende des RMD-Aufsichtsrates. Als solche hatte sie sich bisher lediglich skeptisch, aber grundsätzlich offen für die Überlegungen der Geschäftsführung geäußert. Die Chance, ein vertretbares Konzept zum erfolgreicheren Erwirtschaften der anstehenden Nachsorgekosten vorzulegen, hatten die Geschäftsführer nun bekommen, aber nichts Überzeugendes geliefert.

„Es war jahrelang ein Vorzeigebetrieb der Branche, der sich von einer Mülldeponie zu einem fortschrittlichen Betrieb entwickelt hatte“, betonte Overdick ihre grundsätzliche Sympathie für den Deponiebetrieb in Wicker. Der Landkreis habe schließlich noch im Februar zugesagt, bis 2027 insgesamt 31 Millionen Euro für die Aufgabe der Nachsorge bereitzustellen. Man bereitete sich also in Hofheim weiter auf das Ende der neuen Verfüllungen vor.

Das Regierungspräsidium habe für das Konzept der RMD die frühzeitige öffentliche Beteiligung verlangt, berichtet die Kreisbeigeordnete, „zu einem Zeitpunkt, als viele Fakten noch gar nicht bekannt waren“. Die Einbindung der Bürgermeinung sei ihr allerdings sehr wichtig gewesen, „und es war ein deutliches Signal und eine deutliche Sprache, die bei den Veranstaltungen gesprochen wurde“. Nach ihrem Besuch von Ausschusssitzungen in Hochheim und Flörsheim war Overdick sich dann ganz sicher, „die Akzeptanz ist in der Bevölkerung nicht gegeben“. Die müsse aber wissen, dass die Belastungen durch die Verkündung des Aus für den Weiterbetrieb nicht endeten.

Im Kreis habe es bisher nie eine Abstimmung für oder wider die Deponie auf Deponie gegeben, sagte CDU-Fraktionschef Blasch. Wohl sei es im Kreisausschuss aber für sinnvoll gehalten worden, „mögliche Chancen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen“. Anhand von vier Kriterien wollten die Fraktionen jetzt zu einer Bewertung kommen:

  • Wirtschaftlichkeit: Die Deponie auf Deponie hätte einen „nennenswerten, positiven finanziellen Ertrag für die RMD-Gruppe“ erzielen müssen, um die Belastung der Steuerzahler für die Nachsorgekosten abzumildern.
  • Entsorgungssicherheit: Die Frage, ob dazu die neuen Kapazitäten auf der Deponie Wicker gebraucht würden oder andere Orte kostenmäßig und, was die Belastung der Bevölkerung angeht, besser wären.
  • Auswirkungen: Welche Folgen hätte der Betrieb einer Deponie auf Deponie für die Nachsorgetätigkeit?
  • Akzeptanz in der Bevölkerung: Ob angesichts vieler anderer Belastungen in Flörsheim und Hochheim die Akzeptanz für das Projekt zu erzielen wäre.

Im Grund hat die Koalition bisher nur zum letzten Punkt einen klaren Eindruck bekommen. An Zahlen, die die RMD-Geschäftsführung zu den wirtschaftlichen Erwartungen vorlegen müsste, mangelt es dagegen bisher. Dennoch reichten die bisherigen Erkenntnisse aus um zum Entschluss zu kommen, das auf 20 Jahre Weiterbetrieb ausgelegte Projekt nicht mehr zu verfolgen, lautet das Fazit der Koalition.

Den Fraktionen sei klar, dass die Ablehnung einer Deponie auf Deponie zu einem deutlichen Arbeitsplatzabbau durch die RMD führen wird, sagte der Hochheimer Bürgermeister Westedt. Daher sei es auch nachvollziehbar gewesen, dass die Betreiber in den vergangenen Jahren allerlei Überlegungen für neue Aufgaben und Ertragsmöglichkeiten ausloteten, so vor drei Jahren durch Geothermie-Bohrungen (ergebnislos). Hier wurde viel Geld, letztlich ohne eine Lösung zu finden, ausgegeben.

Westedt ärgert sich über das Vorpreschen der SPD-Fraktion als Deponie-auf-Deponie-Gegner, da die Sozialdemokraten die Beschlüsse, die die wirtschaftliche Schieflage des RMD auslösten, mitgetragen hätten. „Die müssen ein sehr kurzes Gedächtnis dafür haben, wofür sie in der Vergangenheit alles verantwortlich waren“, sagte der Hochheimer Bürgermeister - am Tag nach dem Tag, an dem er sich ursprünglich in seiner Stadt zur Wiederwahl stellen wollte.

Für Karin Schnick (Grüne) war der Kardinalfehler die fehlende Kommunikationsbereitschaft der RMD-Geschäftsführung. Trotz einiger Aktivitäten habe sie bei den Bürgerversammlungen in Wicker erschreckt festgestellt, „wie wenig Informationen die Bevölkerung bekommen hatte“. Durch die Emotionalität sei es schwierig gewesen, wieder auf eine Sachebene zurückzukommen. Weil auch die anderen drei Punkte dieses Problem nicht herausrissen, „sind wir zu der Entscheidung gekommen, dass das Projekt keine Zukunft hat“.

Nun sei es die Frage, ergänzte Schnick, wie man die Nachsorge finanzieren und die Probleme, die im Betrieb auch ohne den Ausbau da seien, in den Griff bekommen könnte. Die Bürger ahnen natürlich längst, was es bedeutet, wenn sich keine Ersatzlösung zum „DaD“-Szenario findet, was die Einnahmesituation am Standort angeht. Die Folgen des Deponie-Aus, das letztlich auch mit der Deponie auf Deponie absehbar geblieben wäre, dürften weitreichend sein.

Cyriax blitzte ab

Die gesamte Konstellation der Abfallentsorgung in der Region dürfte nach diesem Schritt aus dem Main-Taunus-Kreis zur Disposition stehen. Die RMD gehört bekanntlich je zur Hälfte dem MTK und dem Hochtaunuskreis, und Michael Cyriax (CDU) bekennt offen, dass es im Nachbarkreis ganz andere Auffassungen zum Weiterbetrieb der Anlage in Wicker gibt wie zur Zukunft der Abfallwirtschaft generell.

Das verkraftet er aus zwei Gründen: Sein Landkreis hat mit dem jahrzehntelangen Betrieb der Deponie seinen Beitrag zur Abfallentsorgung in der Region geleistet, „jetzt sind mal andere dran“, klang beim Landrat als Haltung zu dem Thema durch. Ende 2021 werden die letzten Tonnen Schlacke zur Verfüllung des Wickerer Deponiekörpers eingelagert, ab dann nur noch modelliert, so lautet die Perspektive der Anlage ohne Modelle zum Weiterbetrieb in neuer Form.

Über die Zukunft der Entsorgungswege „gibt es zwischen den beiden Landräten unterschiedliche Sichtweisen“, sagt Cyriax. Mit dem Konstrukt RMA, deren Auftragnehmer die RMD bisher ist, hadert der Landrat sowieso. Denn sein Versuch, die grobe finanzielle Schieflage des Wickerer Deponiebetriebs durch eine andere Gestaltung der Finanzströme innerhalb der RMA-Gruppe zu vermindern, wurden von dem Unternehmen, zu dessen Anteilseignern neben dem MTK die Städte Frankfurt, Offenbach und Maintal sowie der Hochtaunus-Landkreis zählen, bisher rundum abgelehnt.

„Ich habe versucht, mit der RMA-Geschäftsleitung erträglichere Konditionen für unser Gebiet zu erreichen, aber die war nicht bereit uns entgegenzukommen – das stellt mich nicht zufrieden“, berichtete Cyriax in der Sitzung des Ausschusses für Eigenbetriebe und wirtschaftliche Beteiligung direkt nach der Pressekonferenz der Koalition. Eher widerwillig legte der Landrat dem Gremium am Montag daher den Antrag vor, den am 21. Dezember 1998 abgeschlossenen und bislang bis Ende 2023 befristeten Vertrag zur interkommunalen Zusammenarbeit in der Abfallwirtschaft in der Rhein-Main-Region um zehn Jahre zu verlängern. „Nicht, weil wir so gut behandelt worden wären, sondern weil die Alternativen fehlen.“

Und so wird sich, wenn der Kreistag dem zustimmt, bis Ende 2033 die derzeit unliebsame Liaison verlängern – wie es aktuell aussieht, mit allen Folgen der Schieflage bei den Geldströmen im Entsorgungsgeschäft der Region.

Dabei scheint der Handlungsbedarf für die Verlängerung nicht akut. Die 18-monatige Kündigungsfrist, die den Mitgliedskommunen eingeräumt wird, beginnt erst im Sommer 2021. Dennoch ist sich Cyriax bewusst, dass auch er keine mehrheitsfähigen Vorschläge, etwa für die Neugestaltung der Beteiligungsverhältnisse an der RMA (derzeit je 19,23 Prozent für die drei beteiligten Landkreise und die Städte Frankfurt und Offenbach, 3,85 Prozent für die Stadt Maintal) oder der Zukunft der RMD, „die riesige Verluste vor sich hinschiebt“, zu bieten hat.

Seine Hoffnungen, dass die RMA mehr Entgegenkommen zeigen würde, beruhten auf dem Umstand, dass die Müllverbrennungsanlagen der Städte Frankfurt und Offenbach, die die Aufbereitungsanlage des mehrheitlich der Stadt Frankfurt gehörenden Unternehmens FES an der Wickerer Deponie beliefern, abgeschrieben seien. Sie verdienen daher in den kommenden Jahren wohl gutes Geld – von dem der Main-Taunus-Kreis allerdings nur indirekt über die RMA-Bilanz profitieren wird, die Bürger, jedenfalls von dieser Seite aus, jedoch wohl über konstant niedrige Müllgebühren.

So will Cyriax die kommenden Jahre vor allem dazu nutzen, Alternativen für das regionale Bündnis auszuloten, die sich zuletzt auf der Dyckerhoff-Deponie der Stadt Wiesbaden andeuteten. Dies ist bisher aber auch nur eine vage Perspektive, manche halten die Überlegungen für rechtlich problematisch und die Kapazitäten in der Landeshauptstadt auch nicht für ausreichend, um sich Nachbarkommunen als Vertragspartner anzudienen. Das Problem nicht nur des Main-Taunus-Kreises wird es sein, Orte für eine neue Schlackedeponie zu finden, deren Genehmigungsvoraussetzungen heutzutage ungleich schärfer sind. „Die Wickerer Deponie würde heute nicht mehr zugelassen werden“, ist sich Dirk Westedt sicher.

Dessen Stadt, überlegt Cyriax, ist als einziger Tourismusort im Landkreis prädestiniert, von einer rekultivierten Deponie zu profitieren. „Da ein Objekt zu hinterlassen, das begrünt ist, im weitesten Sinne der Naherholung dient und damit auch den Frieden der Anwohner mit der Deponie wieder herstellt, scheint mir ein Anlegen der nächsten Jahre zu sein.“ Die Müll- und Schlackehügel als Eventort, das fänden nicht nur die Hochheimer, sondern auch die Wickerer sicher deutlich angenehmer als die aktuelle Situation. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg,

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