Begreifen, was nicht mehr passieren darf

Eindrucksvolle Lesung aus „... man müsste einer späteren Generation Bericht geben“ am 6. Mai

Schülerinnen und Schüler der Stufe Q der HBS lasen am 6. Mai aus dem Buch „... man müsste einer späteren Generation Bericht geben“.    
(Foto: A. Kreusch)

 

Schülerinnen und Schüler der Stufe Q der HBS lasen am 6. Mai aus dem Buch „... man müsste einer späteren Generation Bericht geben“.    
(Foto: A. Kreusch)

 

HATTERSHEIM (ak) – „Jede Generation steht vor der Aufgabe, sich die nicht biologisch ererbten Erfahrungen früherer Generationen anzueignen“, bekräftigte Dr. Dietrich Heither, Geschichtslehrer und Stellvertretender Schulleiter an der Heinrich-Böll-Schule (HBS) in Hattersheim in seiner Begrüßungsansprache zur Lesung von Schülern der Stufe Q seiner Schule aus dem Buch „... man müsste einer späteren Generation Bericht geben“ am 6. Mai in der Lernlandschaft im neuen Oberstufengebäude. „Die Geschichtswissenschaft funktioniert daher wie ein Gedächtnis der Menschheit – die Geschichte wird befragt, was sich aus den Erfahrungen früherer Generationen lernen lässt.“

 

Da das Datum der Veranstaltung auch fast genau auf den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 70 Jahren fiel, begann die Veranstaltung damit, dass nach einer eindrucksvollen Musikdarbietung in hebräischer Sprache, von Uri Song am Cello begleitet, eine Fotostrecke mit Bildern aus dem KZ gezeigt wurde und Schüler Texte zur Befreiung von Auschwitz und das ebenfalls notwendige Hinterfragen von Zeitzeugenberichten lasen.
Mit den erschütternden Bildern und sehr nachdenklich machenden Worten im Kopf begab sich die Veranstaltungsgesellschaft danach mit Marga Schmitt-Reinhart in das Treppenhaus des neuen Oberstufengebäudes, wo eine große Karte der Stadt ihren Platz fand, auf der die in Hattersheim verlegten „Stolpersteine“ die Plätze markieren, an denen Opfer des Nazi-Regimes gelebt hatten. „Diese Wand der Erinnerung sollte ein Ort werden, an dem man auch mal stehen bleibt und Fragen stellt – es ist sehr schön, dass die Schüler hier in der Schule schon während der Plan an der Wand angebracht wurde, immer wieder nachgefragt haben und das immer noch tun!“, freute sich Marga Schmitt-Reinhart.
An der HBS ist man mit dem oben genannten „Lesebuch zur Geschichte und Gegenwart von Hattersheim am Main“, herausgegeben vom Magistrat der Stadt und dem Förderverein der Schule, in der glücklichen Lage, ganz authentische, akribisch recherchierte „Geschichten aus der Geschichte“ nachlesen zu können, die dadurch, dass sie alle in der Stadt passiert sind, sehr gut fassbar und in eine erschreckende Nähe gerückt werden. Mit den Biographien von Erna Mitter, Peter Nieder und der Familie Schwarz lasen die Schülerinnen und Schüler die Geschichten von ganz normalen Menschen vor, die sich nach unserer heutigen Vorstellung nichts hatten zuschulden kommen lassen und trotzdem in den Fängen des Nazi-Regimes zugrunde gingen. Allein der Begriff „Rassenschande“ – und auch die Tatsache, dass dieses „Delikt“ nur für Männer strafbar war – bohrte sich sicher neben vielen anderen erschreckenden Eindrücken in das Gedächtnis mancher Zuhörer.
Eindrucksvoll und sehr eindringlich waren auch die Passagen, die von den Schülern aus Aufsätzen über einen Besuch im Konzentrationslager Nordhausen Mittelbau-Dora vorgelesen wurden, während Bilder vom Ausflug gezeigt wurden. „Mein Respekt wurde mit jedem Detail, welches wir über das Leben dort zu hören bekamen, größer“, war dort zu hören. Über die gefühlte Hilflosigkeit und die Erleichterung, selbst wieder aus dem Stollen heraustreten zu können, über das Erschrecken bei dem Gedanken, dass Tausende dort nicht mehr herauskamen, wurde in den Aufsätzen berichtet. „Das Krematorium dort ist ein Ort der Stille und der Angst – ich hatte dort das Gefühl, mit jeder Geste gegen die Würde der Opfer zu verstoßen“, schilderten die Schüler ihre Gedanken und ihre Ergriffenheit. Auch die Skulpturen, die man dort nun sehen kann, haben tiefen Eindruck hinterlassen: „Das sind beeindruckende Denkmäler, sie zeigen, wie dort Menschen ,entsorgt' wurden“, oder „Diese Plastik macht es möglich, den Häftlingen von damals heute noch direkt ins Gesicht zu sehen – das macht die Erfahrung sinnlich greifbar“, fanden die Schüler. „Ein Besuch in einem Konzentrationslager ist wichtig, nicht um sich ständig schuldig zu fühlen, sondern um Wissen über diese Zeit zu erlangen“, ist in den Aufsätzen zu lesen, und „ein Besuch ist anzuraten, um die Dimensionen zu vermitteln, kein Unterricht kann dieses bedrückende Gefühl vermitteln, welches man dort bekommt“.
Auch auf die Auswirkungen, welche die Nazi-Propaganda auf die Menschlichkeit einer ganzen Bevölkerung hatte, ging ein Schüleraufsatz ein. Die Gedanken der Schülerinnen und Schüler blieben aber nicht bei einer Reflexion vergangener Zeiten: „Der NSU-Prozess macht deutlich, dass da noch gar kein Ende abzusehen ist“, wenn es um nationalsozialistisches Gedankengut geht, stellten sie realistisch auf die Gegenwart bezogen fest. Aber: „Aus Fehlern lernt man, weil man das nicht noch einmal erleben möchte.“ Die Stadt Hattersheim und die Heinrich-Böll-Schule können stolz auf das sein, was sie ihren jungen Leuten und ihren Schülern aus der dunklen Zeit der deutschen Geschichte vermitteln können, die Lesung am 6. Mai hat mit ihrer Ernsthaftigkeit und ihrer Eindringlichkeit gezeigt, dass die Jugend begreift, was nicht mehr passieren darf.

 

 

 

 

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