Erste Sitzung während der Pandemie Hattersheimer Stadtverordnetenversammlung tagte erstmals seit Januar wieder / Bebauungspläne im Fokus

Ungewohnt große Abstände untereinander, Publikum auf der Bühne: Eine Stadtverordnetenversammlung im Zeichen von Corona.

Hattersheimer Stadtverordnetenversammlung tagte erstmals seit Januar wieder / Bebauungspläne im Fokus

Wer am vergangenen Donnerstag nicht zum ersten Mal einer Stadtverordnetenversammlung im Okrifteler Haus der Vereine beiwohnte, stellte schon beim Betreten der Halle große Unterschiede zum üblichen Ablauf fest. Der Eintritt erfolgte einzeln nacheinander, ein Spender mit Desinfektionsmittel stand bereit und an einem Tisch im Foyer musste man sich in einer Teilnehmerliste eintragen - entweder mit einem eigenen mitgebrachten Stift, oder mit einem der zur Verfügung stehenden Einweg-Kugelschreiber. Pro Gast ein Stift. Was normalerweise dekadent und verschwenderisch wirken würde, ist in Zeiten einer Pandemie plötzlich ein Zeichen von Vernunft und Achtsamkeit.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer nahmen diesmal auch nicht am Rand der Halle im Haus der Vereine Platz, sondern auf der Empore und auf der gegenüberliegenden Tribüne. Alle Plätze waren in gebührendem Abstand zueinander aufgestellt, und seitens der Parlamentarier war dies am gewohnten Schauplatz nur deshalb überhaupt möglich, weil sich die Fraktionen auf eine Sitzung nach dem sogenannten "Pairing-Prinzip" verständigt hatten, sprich: auf die "Halbierung" der Sitze.

Stadtverordnetenvorsteher Günter Tannenberger bedankte sich bei den Fraktionen für deren Einverständnis zu dieser Einschränkung und für ihr Engagement während der Corona-Krise. Er begrüßte es, dass seit Anfang April im Zwei-Wochen-Takt Präsidiumssitzungen ohne persönlichen Kontakt stattfanden, richtete seinen ausdrücklichen Dank an den Bürgermeister sowie an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt für ihre Geduld und ihr Verständnis. Tannenberger befürchtet, dass die Pandemie den Alltag noch eine ganze Weile begleiten wird. Er hoffe darauf, dass im Angesicht der Corona-Krise weiterhin Vernunft und Einsichtigkeit vorherrschen.

Gedenkminute

Zu Beginn der Sitzung wurde dem am 3. Mai infolge einer COVID-19-Infektion verstorbenen Stadtverordneten der FWG, Frank Feierbach, gedacht. Im Namen der Stadtverordnetenversammlung hatte Tannenberger den Angehörigen des Verstorbenen beriets kondoliert. Ebenfalls betrauert wurde der Tod von Ehrenstadtrat Manfred Sauer. Dieser ist am 28. Juni im Alter von 82 Jahren verstorben. Die Stadtverordneten hielten in Erinnerung an die Verstorbenen eine Schweigeminute.

Vorlage nicht konkret genug?

Bezüglich des angedachten Baus einer dritten Grundschule am Südring stand die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung auf der Tagesordnung. Thomas Abicht (SPD) stellte fest, dass seine Fraktion grundsätzlich den Bau begrüßt. Hattersheim sei offenbar eine sehr beliebte Stadt, das zeige sich durch den großen Zuzug, insbesondere von jungen Familien. Dieser Umstand sorge natürlich auch dafür, dass der Bedarf an Kita- und Grundschulkapazitäten steige. Bezüglich der Beschlussvorlage des Magistrats hingegen äußerte Abicht enorme Kritik: Allein siebenmal sei dort der Satz "wird im weiteren Verfahren ergänzt" zu lesen. Generell sei die Vorlage nicht konkret genug, so dass sich ihm die Frage stelle: Worüber genau soll an diesem Abend überhaupt abgestimmt werden? Deshalb seine Forderung: "Erst die Hausaufgaben richtig machen, und dann die entsprechende Vorlage präsentieren." Die SPD sei keineswegs gegen den Bau der Grundschule, werde aber der Vorlage in dieser Form nicht zustimmen.

Bürgermeister Klaus Schindling (CDU) stellte klar, dass es zum jetzigen Zeitpunkt erst einmal um die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung gehe, und in diesem frühen Stadium der Planung habe noch nie bereits ein fertiges Erschließungskonzept vorgelegen. Diese Feststellung unterstrich der CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Minnert, man sei aktuell erst beim zweiten von insgesamt sieben Schritten angelangt und es gebe laut Gesetzgebung kaum ein demokratischeres Verfahren als die Erstellung eines Bebauungsplanes.

Winfried Pohl, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, wunderte sich zwar über die "erstaunliche Dünne" der Vorlage und hätte sich unter anderem gerne mehr Informationen zu angedachten Standortvarianten gewünscht. Grundsätzlich wollen die Grünen jedoch eine frühzeitige Beteiligung nicht ablehnen, weil sie auf diesem Wege in Erfahrung bringen wollen, welche Anregungen und Wünsche es gibt. Pohl betonte, dass man seitens der Grünen eine "griffige Verkehrsführung" erwartet, die man momentan noch nicht erkennen kann. Eine spätere Zustimmung zum Bebauungsplan werde maßgeblich davon abhängen.

Die Vorlage wurde schließlich mit den Stimmen von CDU, FWG, FDP und Grünen bewilligt, die SPD votierte dagegen.

Grüne sehen "Bruchstückplanung"

Dies sollte nicht die einzige Beschlussvorlage sein, die einen Bebauungsplan thematisiert. Schon die nächste Vorlage des Magistrats handelte vom Areal "Kastengrund", das das US-amerikanische Unternehmen Digital Realty (DLR) gekauft hat, mit dem Plan, dort ein Rechenzentrum zu errichten. Hier holte Winfried Pohl (Bündnis 90/Die Grünen) zu einem grundsätzlichen Rundumschlag aus: Im Vorfeld der Stadtverordnetenversammlung sei vereinbart worden, dass nur die wichtigsten Beschlüsse zur Vorlage kommen sollten. Nun jedoch handelten etwa die Hälfte der Tagesordnungspunkte von Beschlussvorlagen mit Bebauungsplänen, und ein voreiliges Durchwinken erachte er als gefährlich, denn diese "Bruchstückplanung" würde die Stadt Hattersheim enorm verändern, und das nicht nur positiv. Pohl sieht hier potenziell einen unzulässigen Vorgriff auf die Stadtplanung; Man könne nicht mehr offen planen, wenn alle Flächen schon verplant seien. Das "Aufspringen auf den IT-Boom" wertet er als Fehler, und der hohe Stromverbrauch des riesigen Rechenzentrums im Kastengrund, den er fast als vierten Stadtteil sieht, würde die Klimabilanz von Stadt und Kreis aus den Fugen heben.

Andreas Endler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU, stellte fest, dass man allgemein gute Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger und eine gute Infrastruktur haben wolle - man sich dies jedoch nur "mit dem nötigen Kleingeld" leisten könne. Dafür stehen seiner Ansicht nach die vielen Anträge, mit denen die Stadtverordneten oft konfrontiert werden. "Seit einiger Zeit passiert hier etwas. Es geht aus meiner Sicht nach vorne", betonte Endler, und das mache nun mal Entscheidungen erforderlich, gegebenenfalls auch vor der Ausarbeitung eines echten Stadtentwicklungskonzepts.

Bei Gegenstimmen von Bündnis90/Die Grünen stimmte der Rest der Stadtverordnetenversammlung für die Vorlage. Dieses Abstimmverhalten wiederholte sich auch bei den Vorlagen bezüglich der Bebauungspläne zum Freizeitplatz am Schwarzbachuferweg und zur Erweiterung des Gewerbegebiets südlich der Voltastraße.

Einigkeit bei Kostenbeiträgen

Bezüglich der Erhebung von Kostenbeiträgen für die Kinderbetreuung während des Betretungsverbotes angesichts der Corona-Pandemie stimmte die Stadtverordnetenversammlung einhellig für die Vorlage des Magistrats, die der gemeinsamen Vereinbarung der Städte und Gemeinden im Main-Taunus-Kreis entspricht.

Bürgermeister Klaus Schindlich berichtete, dass man sich hierüber bereits im Präsidium sehr einmütig über alle Fraktionsgrenzen hinweg verständigt habe. Man wolle die Eltern entlasten, indem man auf die Zahlung der in den ersten Monate der Pandemie nicht eingezogenen Kostenbeiträge endgültig verzichtet. Die Eltern sollten demnach keine Sorge haben, dass sie die kumulierten Kosten noch zu einem späteren Zeitpunkt zahlen müssen. Man will dann für Leistungsempfänger - also die Eltern von den Kindern, die tatsächlich Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen - ab Juni wieder Kostenbeiträge erheben. Der Magistrat wird sich über den Städtetag und den Städte- und Gemeindebund dafür einsetzen, dass in Verhandlungen mit der Hessischen Landesregierung eine landesweit einheitliche Regelung herbeigeführt werden kann.

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