Leserbrief Ich habe nie im Armenhaus gewohnt

Mit Befremden las ich im Höchster Kreisblatt eine Bemerkung der FWG (Freie Wähler Gemeinschaft) über das „Armenhaus Hattersheim“. Das ist nicht das erste Mal, dass ich diese Zuschreibung lese. Sie wird gerne von der seit sechs Jahren regierenden Koalition von CDU, FWG und FDP verwendet. Für mich stellt sich die Frage: wird hier eine Stadt diskreditiert oder ihre Bewohner?

Wir wohnen seit 30 Jahren in Hattersheim, haben hier unsere Kinder bekommen und nie auch nur annähernd das Gefühl gehabt, in einem Armenhaus zu leben. Wir haben im wunderschönen Alten Posthof geheiratet und im Grünen Haus die ersten Freundschaften geknüpft. Ein wunderbares Ankommen in einer Stadt, die mich mit dem S-Bahnanschluss zu meiner Arbeit nach Frankfurt brachte und wieder zurück ins Grüne, zu den Spaziergängen an den kleinen Zoo, beim „kleinen Schmidt“ in der Frankfurter Strasse wurde gekauft, was gebraucht wurde, zur Gastronomie am Markt, wo die Kinder am kleinen Bachlauf spielten, zu den geselligen Festen in der Siedlung, den Veranstaltungen im Posthofkeller, die Lesungen in der Bücherei, die Arbeit mit den Jugendlichen in der Seniorenwerkstatt der Altmünstermühle, die jährliche Auswahl der Frühlingsblumen im Schlockerhof, die Kunstausstellungen in der HaWoBau, u.v.m.

Das war kein Armenhaus. Manche haben uns beneidet um diese Stadt.

Als die Stadt unter dem Schutzschirm geriet – Grund war der Wegfall einer großen Summe Gewerbesteuer wegen des Wegzugs der Tierversuchsanstalt im Kastengrund (Sanofi) – mussten Maßnahmen ergriffen werden: Das Angebot der Busse wurde ausgedünnt, die Grundsteuer erhöht, kostenfreie Angebote gestrichen.

Aber trotz leerer Kassen entstanden in jedem neuen Baugebiet ausreichend Kita-Plätze und Spiel- und Grünanlagen für alle Generationen. Das Schwimmbad stand weiterhin zur Verfügung und soziale Projekte wurden unterstützt.

Das Reduzieren von liebgewonnenen Angeboten tut jedem Kämmerer weh – egal welcher Couleur. Trotz alledem waren die Maßnahmen so gewählt, dass wir zwar sparen mussten, aber auch nicht im Armenhaus landeten. Ich habe den Eindruck, dass die Stadt unter der neuen Regierung noch immer von den Schutzschirmmaßnahmen profitiert, indem die Grundsteuer B nicht wieder heruntergesetzt wurde, wie bei der Bürgermeisterwahl vor sechs Jahren versprochen und die Taktung des Busfahrplans nicht wieder „höher schlägt.“ Eigentlich das, was den Bürger:innen am meisten weh tat und tut.

Die vormalige rot/grüne Regierung hat ein gut bestelltes Haus hinterlassen und Weichen gestellt. Die Schulden wurden durch den Schutzschirm kontinuierlich abgebaut und Bebauungspläne für die Ansiedlung von Gewerbe auf den Weg gebracht. Die jetzige Stadtregierung profitiert davon.

Betkin Goethals

Stadtverordnete Bündnis 90/Die Grünen

Durchschnitt: 1.7 (6 Bewertungen)


X