Von der Wohnung in die Notunterkunft? Mietkündigungen in der Schützenstraße 3 / Schimmelbefall festgestellt, Gesundheitsamt wird aktiv

Bürgermeister Klaus Schindling am vergangenen Samstag im Haus St. Martin im Gespräch mit den gekündigten Mieterinnen und Mietern der Schützenstraße 3.

Mietkündigungen in der Schützenstraße 3 / Schimmelbefall festgestellt, Gesundheitsamt wird aktiv

Am vergangenen Samstag traf sich Bürgermeister Klaus Schindling im Hartz-IV-Café im Haus Sankt Martin für Wohnungslose mt den vier Mietparteien aus der Schützenstraße 3, deren Mietverhältnisse zum 31. März beziehungsweise 31. Mai 2020 gekündigt wurden. Eingeladen hatte Carlo Graf, aktiv im Hartz-IV-Café und beim DGB-Kreisverband.

Graf stellte noch einmal die aktuelle Situation dar, die sich jüngst noch zusätzlich verschärft hat. Das Haus in der Schützenstraße 3 befindet sich auf einem Gelände, das die Stadtverordnetenversammlung am 26. April 1968 rechtskräftig als Gewerbegebiet ausgewiesen hatte. Demnach hätten dort seitdem keine Wohungen vermietet werden dürfen – dies wurde jedoch trotzdem getan, weil die Eigentümer über die Vermietung an Privatpersonen zum Wohnen mehr Geld verdienen können als bei gewerblicher Nutzung.

Bürgermeister Schindling stellte klar, dass dieser Vorgang im Bereich der Bauaufsichtsbehörde liegt. Diese hätte tätig werden und die Nutzung als Mietwohnungen seit jeher unterbinden müssen. Das Problem dabei: Die Behörde hat keinen Außendienst, niemand überprüft unaufgefordert vor Ort, ob als Mietwohnungen genutzte Immobilien tatsächlich vermietet werden dürfen. Statt dessen wird die Behörde nur dann aktiv, wenn jemand eine solche illegale Nutzung meldet, anzeigt oder sich darüber beschwert. Und dies ist hier nun geschehen.

Die Hausnummern 1 und 1a in der Schützenstraße sind hiervon nicht betroffen: Die Gebäude wurden vor dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von 1968 gebaut und stehen deshalb unter Bestandsschutz. Das Haus in der Schützenstraße 3 hingegen entstand erst 1970 und hätte von Anfang an nicht als Wohnhaus genutzt werden dürfen. Nun erhielten die Mieterinnen und Mieter die Kündigungen - und sind aus nachvollziehbaren Gründen aus allen Wolken gefallen, denn nichts deutete für sie jemals darauf hin, dass an dieser Stelle keine Wohnungen hätten vermietet werden dürfen.

Zusätzlich zur Kündigung durch den Vermieter verschärfte sich die Situation nun noch aus einem anderen Grund drastisch: Anfang des Monats wurde im Haus ohne vorherige Ankündigung die Wasserversorgung abgestellt. Graf berichtete, dass man daraufhin die Polizei gerufen habe. Dem Vermieter zufolge hätte das Wasser wegen eines Wasserrohrbruchs abgestellt werden müssen. Etwa zwei Stunden nach dem Polizeieinsatz lief das Wasser wieder.

Bei der Klärung dieses Vorgangs stellten die Polizeibeamten einen starken Schimmelbefall im Haus fest. Dieser war dem Vermieter schon lange angezeigt, es wurde jedoch niemand aktiv. Schindling berichtete, dass dem Polizeibericht zufolge der Schimmel auch nicht durch Mitverschulden oder Lüftungsmängel hervorgerufen wurde, sondern dass bauliche Mängel verantwortlich seien. Die Folge: Das Gesundheitsamt wird die Wohnungen in der Schützenstraße 3 als nicht bewohnbar erklären. "Und damit müssen alle raus", stellte der Bürgermeister fest. Es stellt sich nur die Frage: Wohin?

Der schlimmste Fall wäre eine vorübergehende Unterbringung in einer Notunterkunft. Die Stadt Hattersheim am Main verfügt über eigene Einrichtungen in der Schulstraße. Dort können obdachlos gewordene Menschen untergebracht werden. "Dort hat man ein Zimmer mit mehreren Personen, man hat einen Schrank, man hat Küche, man hat Bad", beschreibt Schindling die dortigen Wohnverhältnisse.

Keine weiteren Sozialwohnungen

Graf hält dies für "keine sehr gute Perspektive". Die gekündigten Mieterinnen und Mieter seien es gewohnt, in Wohnungen zu leben, "die nicht gut sind, aber Wohnungen sind". Die Notunterkünfte können diese Wohnungen nicht ersetzen. Deshalb fordert Graf eine Priorisierung der von der Obdachlosigkeit bedrohten Mieterinnen und Mieter bei der Wohnungsvergabe. Die Priorisierung begründe sich in diesem Fall darauf, dass diese Entmieteten akut von einer Einweisung in eine Notunterkunft bedroht seien.

Zudem forderte Graf den Bürgermeister auf, neue Belegungsrechte für die Stadt zu erwerben. Die Stadt Hattersheim habe zwar Belegungsrechte für Wohnberechtigte in eigenen Gebäuden, "aber nicht genug, sonst wäre dieses Problem ja nicht vorhanden".

Schindling erteilte diesen Forderungen eine Absage: "Wir haben im Main-Taunus-Kreis die größte Anzahl an Wohnungen, die im bezahlbaren Bereich liegen, und ich werde diese Wohnungsanzahl nicht vergrößern." Diese strikte Linie begründet der Bürgermeister mit einem Blick auf die Gesamtsituation der Entwicklung der Stadt Hattersheim. Unter anderem sieht er in diesem Thema einen Faktor, der die Stadt unter den Schützschirm geführt habe. Eine "völlig ohne Betrachtung ökonomischer Grundzusammenhänge geführte Politik" habe die Stadt seinerzeit dorthin geführt, so der Bürgermeister.

Aber dies sei nicht das Problem der entmieteten Bewohner der Schützenstraße 3, und Schindling will den gekündigten Mieterinnen und Mietern bei der Wohnungssuche helfen. Für eine Mieterin und deren Tochter wurde bereits eine Wohnung gefunden, die diese haben könnten. Und den anderen Entmieteten kann er nur sagen, dass die Stadt Hattersheim ja auch immer wieder Wohnungen neu vergeben kann. "Ich kann ihnen halt nur keinen Zeithorizont nennen", so Schindling. Der Bürgermeister rät den Wohnungssuchenden aus der Schützenstraße 3 dringend zur Beantragung eines Wohnungsberechtigungsscheins und zu einer stärkeren Eigeninitiative. Man müsse sich auch selbst aktiv umhören und um das Finden einer neuen Wohnung bemühen.

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