Dem Hessen auf’s Maul geschaut

Veranstaltungsreihe „Lyrik und Wein“ des Volksbildungswerks Hochheim

HOCHHEIM (em) – Vor ausverkauftem Haus begann das Jahr 2012 der Reihe „Lyrik und Wein“ des Volksbildungswerks Hochheim mit einem echten Knaller. Walter Renneisen, in Mainz geborener und in Raunheim groß gewordener Schauspieler, präsentierte sein Programm „Deutschland, Deine Hessen“ im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe im Weingut Rebenhof am 14. Januar und lieferte ein Feuerwerk der hessischen Mundart, begleitet von den großartigen Gewächsen der Familie Orth/Rosenkranz.

 

Renneisen, der nach seinem Abitur in Rüsselsheim in Köln und Mainz Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie studierte, begann seine schauspielerische Karriere am Schauspielhaus in Bochum. Es folgten Engagements an den städtischen Bühnen Dortmund und am Staatstheater Darmstadt, bevor er sich 1976 entschloss, fortan als freier Schauspieler zu arbeiten. Neben Rollen in Molière’s „Der Geizige“, Schiller’s „Räuber“ und „Kabale und Liebe“ oder Shakespeare’s „Sommernachtstraum“ war er immer wieder in Fernsehserien zu sehen, so im „Tatort“, „Derrick“, „Die Kommissarin“, „Siska“ oder „Ein Fall für zwei“. Seit 1993 geht Renneisen darüber hinaus auch mit eigenen Theaterproduktionen auf Tournee, z.B. mit „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind, “Ein Bericht für eine Akademie“ von Franz Kafka oder „Die Sternstunden des Josef Bieder“ das u.a. auch von ihm mit geschrieben wurde. Abgerundet wird sein Schaffen durch zahlreiche Hörfunkproduktionen sowie seinen Lesungen und Eigenproduktionen, von denen er die Aktuelle im Rebenhof vorstellte.
Ausgehend vom Ur-Rauschen zu Beginn der Erdgeschichte, dargestellt mit einer „Meeresrauschen-Konga“, stellte Renneisen den Werdegang des Hessen in den historischen Gesamtzusammenhang. Obwohl dem Hessen der direkte Zugang zu großen Gewässern fehlt und er eher auf Geröll lebt (wiederum mit einem entsprechenden „Instrument“ untermalt), so hat doch das Wasser seine Spuren im Hessischen in Form des „sch“ hinterlassen, z.B. in den wunderbaren Sätzen „Isch liebe Disch“ oder „Die Rente ist sischer“. Die unterschiedlichen Volksstämme (Kelten, Chatten, Franken), die in der Zeitgeschichte das Hessenland bevölkerten, beeinflussten die Entwicklung des Hessen ebenfalls. So stellte Renneisen die Aussage „Mit dem is net gud Kersche esse!“ in einen Zusammenhang mit dem Limes, der von den Römern nie über (Süd-) Hessen hinaus nach Norden getrieben werden konnte. Denn der Römer verzog sich sicherlich sofort wieder hinter den schützenden Limes, sobald er von einem Chatten, ein Ur-Hesse, mit den Worten begrüßt wurde: „Isch hach der uff die Nuss, dass de dorsch die Ribbe guggst wie en Aff dorchs Gidder“. Poesie pur, wie Renneisen betonte.
Weiter ging es durch die hessische Lyrik mit dem Stoltze-Gedicht vom „Werrmsche mit em Scherrmsche“, dargeboten mit unterschiedlichen Instrumenten wie Ukulele, Flöte oder Keyboard und in unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen. Die spezielle Form hessischer Lyrik bot Renneisen mit den Sequenzen „Geh fort, bleib do!“, „Komm her, isch heb Disch uff!“ oder dem Bäckerei-Dialog: „Sinn die Wegg weg? Ja, die sinn All all!“. Ein Wortwitz, der in dieser Form nur in Hessen gepflegt wird. Ebenso wie die Septole, mit der der Hesse einen vollständigen Satz bestehend aus Subjekt, Prädikat und Objekt bildet, z.B.: „Eieieieieieiei“, Ochochochochochochoch“ oder auch „Uiuiuiuiuiuiui“.
Ebenso schwer verständlich für Nicht-Hessen ist die Aufforderung „Geb‘ em was zu tringge sonst verderrterder!“ Diese Aufgabe war an diesem Abend Pia Rosenkranz vom Weingut Rebenhof vorbehalten. Gewohnt kompetent und fachkundig präsentierte die Vizepräsidentin des Rheingauer Weinbauverbandes den Begrüßungssekt und erläuterte die Besonderheiten der Sektherstellung sowie die speziellen Eigenschaften eines Winzersektes und stellte das eigene Weingut vor, das als einziges im Rheingau seit vielen Jahren immer wieder von der DLG prämiert wird. Die Verschnaufpausen, die Walter Renneisen seinem Publikum gönnte, füllte Rosenkranz mit Spätburgundern und Rieslingen aus den Jahren 2008 bis 2010 und erläuterte hierzu die Besonderheiten der Rotweinbereitung, der Rebsorte „Roter Riesling“ (ein Weißwein!) oder der (Kostheimer) Lage „Weiß Erd“. Hierzu gab es für die Zuhörer die entsprechenden Weine zu verkosten, auch wenn diese aufgrund des geringen Ertrages in 2010 teilweise schon ausverkauft sind, wie Pia Rosenkranz immer wieder bedauerte. Zum Abschluss des Abends stellte sie neben einer Riesling Spätllese aus dem Jahr 2008 einen ebenfalls lieblich ausgebauten 2010er Hochheimer Reichestal Kabinett vor, der aus einem Weinberg mit 43 Jahre alten Reben stammt. Dieser Weinberg soll eigentlich seit mehreren Jahren neu bestockt werden, allerdings überzeugt er in jedem Jahr wieder mit hervorragenden Qualitäten bei zufriedenstellendem Ertrag. Und so kann man sich auch 2012 wieder auf einen solchen Wein aus dem Reichestal freuen.
So endete nach fast vier Stunden und mehreren Zugaben ein äußerst kurzweiliger Abend, an dem sicherlich keiner der Anwesenden sagen musste: „Bevor isch misch uffrech, iss mer’s liewer egal!“
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