Drinnen im von der Sonne aufgeheizten Rathausfoyer gerieten viele Besucher ins Schwitzen. Gleichzeitig lief manchen beim Anblick der Bilder ein Schauer über den Rücken. „Bei seinen Werken bekomme ich regelmäßig Gänsehaut“, verriet Birgit Singhoff. Sie spricht über Johannes Masseli – den einzigen Künstler der Gruppe, der an Mittwoch vergangener Woche bei der Vernissage fehlte. Der Surrealist unter den Künstlern der Freien Künstlergruppe Raunheim ließ sich entschuldigen: Er bereitet gerade eine Einzelausstellung vor.
Künstlerin Birgit Singhoff, die einzige Kriftelerin unter den acht Ausstellenden, bedauerte das sehr. Sie sei ein großer Fan: „Seine Pinselführung, wie er mit Farbe umgeht. Masseli ist mein erklärter Lieblingskünstler.“ Er war zwar nicht da, doch seine surrealen Kunstwerke hängen nun einige Wochen mit den Werken der Künstlerkolleginnen und -kollegen in den Rathausfluren.
Die Ausstellungseröffnung, zu der Gemeinde und Kulturforum eingeladen hatten, war mit dem Motto „Vielfalt“ überschrieben. Das passte. Dem Vorsitzenden des Krifteler Kulturforums, Dr. Frank Fichert, war das schon beim ersten Rundgang aufgefallen: „Der Vorteil einer Künstlergruppe ist die Abwechslung.“
Abwechslungsreich gestaltete sich auch das Rahmenprogramm: Musik, Wortbeiträge, Essen, Trinken, Fröhlichkeit. Dafür sorgte das Ehepaar Brunner mit seinen Musikeinlagen. „Wir wollen heitere Musik als Kontrapunkt zur Weltsituation bringen“, erklärte Sängerin Felicia, die von ihrem Mann Erhard an der Gitarre begleitet wurde.
Vielfalt als Motto
Voller Abwechslung und Vielfalt sei auch das Kulturforum, das nächstes Jahr sein 75-jähriges Jubiläum feiert, erklärte Dr. Frank Fichert in seiner Ansprache. Von Kindertanz bis Yoga sei alles dabei. „Gerne über die Grenzen hinausgehen“, sei das Motto. Doch, so betonte Fichert, ohne den ehrenamtlichen Einsatz wäre dies nicht zu stemmen. Auch die kulturelle Arbeit hänge stark vom Engagement Freiwilliger ab. Zur gegenwärtigen Ausstellung selbst rief Fichert ins Auditorium: „Es lebe der Unterschied!“
Und der lebte tatsächlich: Eva Caldwell malt mit Acryl oder Ölpastell auf Leinwand im abstrakten oder naiven Stil. Viola Walz nutzt Acryl und Öl auf Leinwand für Kunst im Kubismus und im Art-Déco-Stil. Johannes Masseli ist ein Vertreter des Surrealismus und des Phantastischen Realismus und stellte bereits auf der World Art Dubai sowie der Kunstmesse Warschau aus. Ellen Harbering-Hespos illustriert in schwarz-weiß, während Marion Schröer moderne Kunst bevorzugt. Eyuel Getachew wiederum malt wiederrum realistische Sujets aus seiner Heimat Äthiopien.
Insgesamt 52 Werke feiern im Krifteler Rathaus den künstlerischen Pluralismus. „Wir arbeiten mit einem breiten Repertoire an Stilmitteln“, führte Künstlerin Marion Schröer aus. Auch inhaltlich bietet die Ausstellung Vielfalt: Porträts, Landschaftsbilder, gegenständliche Malerei, Expressionismus, Phantastischer Realismus, Moderne Kunst oder Art Deco.
Bürgermeister Christian Seitz zeigte sich angetan von der gebotenen Kunst und Musik: Die Ausstellung sei wie immer ein Highlight, das er schon Tage vorher genieße, wenn Mitarbeiter mit Zollstock, Haken, Hammer und Nägeln die Wände zum Aufhängen der Bilder vorbereiteten und die Kunstschaffenden im Hause sind, um den besten Ort für ihr Werk auszusuchen. Das Foyer sei zudem ein geeigneter Raum für Musik und die menschliche Stimme.
Seine besondere Beachtung gilt den Kunstwerken, die sich mit den Zwanzigerjahren beschäftigen. „Babylon Berlin lässt grüßen“, so Seitz. Im ersten Stock hängen eine Reihe von Bildern, die aus dem Art Déco entsprungen sein könnten. Künstlerin Viola Walz liebt die Zeit der Zwanziger: „Da war was los!“ Ihre Bilder erinnern an die Flapper Girls, junge Frauen, die mit kurzen Röcken und Bubikopf für Emanzipation standen, sich exzessiven Tänzen hingaben und gegen konventionelle Konventionen rebellierten. Etwas von diesem Flair hat sie in ihre Werke mitgenommen. Bis zu fünf Mal überarbeitet sie ein Bild, bis sie die Leuchtkraft der Farben überzeugt.
Der älteste Kunstliebhaber kam aus Kelkheim. Der 88jährige fühlte sich von den Werken Eyuel Getachews inspiriert. Bei seinem Werk „Äthiopische Kulturfrau“ lasse er seiner Fantasie freien Lauf.
Retro lässt grüßen
Bei umfassender Sicht lässt sich Retro als durchgehendes Thema der Ausstellung erkennen. Künstlerin Marion Schröer integriert gerne haptische Gegenstände in ihre Leinwände – zum Beispiel eine alte Pferdetrense. „Ich erwecke gerne alte Sachen zu neuem Leben“, erklärt sie. Eine ganze Wand war expressiver Kunst gewidmet. Auf den ersten Blick erinnerten die Werke an Ernst Ludwig Kirchner oder Otto Müller in ihren besten Schaffenszeiten. „Ich liebe die Expressionisten“, betonte Maler Karl-Heinz Stohr. Inspiration hole er sich gerne im Frankfurter Städel: „Die Expressionisten sind wild mit Farbe umgegangen. Ich will ihre Sprache interpretieren – aber präziser.“
Auch das durchgehende Thema von Birgit Singhoff war schnell erkennbar: Blau, Wasser, Sonne, Strand. Die gebürtige Hofheimerin, die seit 2022 in Kriftel lebt, malte schon als Jugendliche gern. 2005 auf Fuerteventura kam die „Erleuchtung“. Ihre pastose Malweise erreicht sie mit Marmormehl und speziellem Putz. Als langjährige Surferin habe sie zwar eine besondere Beziehung zum Wasser, fühle sich aber auch in Kriftel „in ihrem Element“. „Hier grüßt man sich noch!“, berichtet sie erfreut. So viele Kontakte wie in der Gemeinde habe sie noch nie gehabt. Und nach der Ausstellung dürften es wohl noch ein paar Kontakte mehr werden. Alexander van de Loo
Die Ausstellung ist noch bis zum 24. September im Rathausfoyer Kriftel zu sehen: Montag bis Mittwoch: 8–12 Uhr, Donnerstag: 16–18 Uhr, Freitag: 8–12 Uhr.
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