Zeitzeugen haben nicht mehr allzu viel Zeit

Unter beengten Verhältnissen gedachten Bischofsheimer der Bombardierung vom 13. Januar 1945

Zeitzeuge Wilfried Becker erkennt auf dem Foto der zerstörten Rheinstraße die Häuser der Nachbarschaft. Er selbst wurde in der Nähe verschüttet und überlebte den Angriff mit seinen Geschwistern aber.?(gus/Fotos: Steinacker)

 

BISCHOFSHEIM (gus) – Der Veranstaltung war deutlich anzumerken, dass sie sehr kurzfristig zustande gekommen war. Der Dachboden des Heimatmuseums war zeitweise überfüllt, als dort am Sonntagmittag, inmitten der Materialien zum „dörflichen Leben“ des 70. Jahrestages des Bombenangriffes auf Bischofsheim gedacht wurde. HGV-Chef Volker Schütz hatte – auch aus personellen Gründen, wie er erläuterte – nicht vor, als Heimatmuseum, zum nicht ganz klassisch runden Jahrestag in Sachen Gedenken aktiv zu werden.

 

Er ließ sich aber von den Initiatoren des Gedenktreffens, Richard und Ingrid Schmenger sowie Heinz-Jürgen Manier, überzeugen, dass es für den einen oder anderen Bischofsheimer Zeitzeugen zum klassischen Jahrestag, dem 75. im Jahr 2020, vielleicht zu spät sein wird, wenn der Heimat- und Geschichtsverein dann eine größere Dokumentation des schlimmen Samstagmorgen des 13. Januar 1945 auf die Beine stellen wird – das jedenfalls hat der HGV sich vorgenommen, wie Schütz betont.
Und so stimmte er der Veranstaltung im Heimatmuseum zu, wo solch ein Gedenken zweifellos auch hingehört. Der besser geeignete, große Raum, ist derzeit allerdings mit einer neuen Ausstellung belegt, die es am Sonntag entsprechend zu besichtigen gab. Also kam es im Dachgeschoss zur gedrängten Zusammenkunft rund um die Infotafeln über die Ereignisse in Bischofsheim an einem Wintertag nahe dem Kriegsende. Zu sehen gab es neben den Tafeln, die der HGV zum 50. Jahrestag 1995 erstellt hatte und die neben den Fotos der Zerstörung auch Dokumente und Artikel jener Zeit abbildeten, eine PC-Präsentation zu sehen. Die hatte Ingrid Schmenger erstellt und zeigte als neues Element Luftaufnahmen Bischofsheims, die sich im Mainzer Stadtarchiv finden ließen.
Das vom 2012 verstorbenen Gustavsburger Lehrer und Historiker Dieter H. Neliba und Hans Leiwig 1985 herausgegebene Buch „Die Mainspitze im Fadenkreuz der Royal Air Force und der 8. USAAF“ dient Manier als Quelle eines kurzen, nachdenklichen Vortrags, der die Abläufe des verhängnisvollen Luftangriffs nachvollzog. Der Gauleiter ließ am 2. Februar 1945 berichten, dass bei dem Angriff „80 Mitbürger für Führer und Volk“ gefallen seien. Tatsächlich waren es deutlich mehr, nämlich rund 130. Aber offenbar waren für den Gauleiter nur die verloren gegangenen Parteimitglieder bedauernswert – und die 19 Zwangsarbeiter, die auf dem Bahngelände starben, schon gar keine Erwähnung wert.
Maniers Botschaft lautete, dass die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg nur sein könne, miteinander zu reden, wenn es Konflikte gebe, anstatt sich gegenseitig zu bekriegen. Das, ist ihm bewusst, ist angesichts der Vielzahl bewaffneter Konflikte, die derzeit rund um den Erdball toben, eine immer noch nicht angekommene Botschaft.
Es gibt in Bischofsheim durchaus noch einige Zeitzeugen, die direkt betroffen waren von den Angriffen. Verarbeitet haben sie das ganz unterschiedlich. So wollte eine 81-Jährige Zeitzeugin auf keinen Fall über ihre Erlebnisse reden. Andere, wie den im Februar 1936 geborenen Wilfried Becker, drängte es dagegen sogar, ihr eigenes Erlebnis zu berichten. Als knapp Neunjähriger wurde er in einem Haus in der Rheinstraße durch einen Bombentreffer im Keller verschüttet.
Auch das Elternhaus von Initiator Richard Schmenger in der Spelzengasse 21 wurde zerbombt, der damals Zweieinhalbjährige hat daran freilich keine Erinnerungen mehr. Die Familie hatte Glück, kam unversehrt aus der Situation heraus, doch der Wiederaufbau des Gebäudes konnte erst im Jahr 1949 angegangen werden. So waren auch in Bischofsheim die Narben des Krieges noch einige Jahren nach dem Untergang des „Dritten Reichs“ sichtbar. Diese Mahnmale sind jedoch längst nicht mehr zu sehen. Auf dem Friedhof hat ein Ehrenmal diese Aufgabe übernommen; das Erinnern lebendig halten können aber nur Zeitzeugen, die das Ereignis in einem erlebt haben, in dem sie bewusst wahrnahmen, was geschah. Und die werden immer weniger. Deshalb war es eine gute Idee, auch diesen nicht ganz runden Jahrestag zum Anlass für eine Gedenkveranstaltung zu nehmen, der freilich etwas komfortablere Bedingungen zu wünschen gewesen wären.

 

 

 

 

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