Lichter leuchten gegen das Vergessen

Mahnwache erinnert an Pogromnacht und warnt vor wachsendem Antisemitismus

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In der kühlen Abendluft leuchteten am Sonntag Dutzende Kerzen entlang der Synagogengasse. Rund 50 Menschen versammelten sich am Ort der ehemaligen Flörsheimer Synagoge, um der Opfer der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zu gedenken. Die Mahnwache, organisiert vom SPD Ortsverein Flörsheim und der Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit Main Taunus, verband das Erinnern mit einem klaren Appell: Antisemitismus dürfe in keiner Form hingenommen werden.

Franz Kroonstuiver, stellvertretender SPD Vorsitzender und Vertreter der Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit, eröffnete die Veranstaltung. „Antisemitismus ist keine Meinung, sondern Menschenfeindlichkeit“, sagte er. Gedenken bedeute Verantwortung, besonders in einer Zeit, in der judenfeindliche Parolen wieder offen zu hören seien. „Wir dürfen Jüdinnen und Juden nicht allein lassen, weder in Deutschland noch anderswo.“ Kroonstuiver warnte vor einem zunehmenden Antisemitismus, der bis in die Mitte der Gesellschaft reiche. „Wegsehen und Schweigen dürfen keine Option sein.“

Bürgermeister Dr. Bernd Blisch (CDU) erinnerte in seinem Grußwort an die jüdische Gemeinde, die einst fest in das Leben der Stadt verankert war. Noch 1918 habe ganz Flörsheim das 200-jährige Bestehen der Synagoge gefeiert, sagte er. Zwanzig Jahre später sei das Gotteshaus zerstört, die Kultgegenstände verwüstet und die Männer der Gemeinde verhaftet worden. "Nach diesen Ereignissen konnte niemand mehr behaupten, nichts gewusst zu haben", betonte Blisch. Die Frage, wie ein solcher Zivilisationsbruch möglich war, bleibe zentral – auch für das heutige Verständnis von Verantwortung.

Er hob hervor, wie wichtig historische Bildung und politisches Bewusstsein seien, um die Mechanismen von Hass und Ausgrenzung zu erkennen. "Wir müssen nicht nur über die Zeit des Nationalsozialismus sprechen, sondern auch über die gesellschaftlichen und politischen Spannungen, die ihn erst möglich gemacht haben."

SPD Vorsitzender Michael Antenbrink knüpfte daran an.Mit jedem Jahr gehe der direkte Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus verloren, sagte er. "Wir verlieren die letzten Zeitzeugen, die uns noch berichten können. Das muss uns mahnen und verpflichten, das, was 1938 geschah, nicht zu vergessen."

Es gehe nicht um Schuld, betonte er, sondern um Verantwortung. "Wir müssen mit der Menschenwürde so sorgsam umgehen, wie es uns die Väter des Grundgesetzes als Vermächtnis hinterlassen haben. Der 9. November erinnert uns daran, allen Menschen mit Respekt zu begegnen und denen beizustehen, die unsere Hilfe brauchen."

Einen analytischen Blick warf die Medienpädagogin Alia Pagin auf aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus. Sie erläuterte, wie judenfeindliche Narrative heute oft "vercodiert" auftreten – in sozialen Netzwerken, in Verschwörungserzählungen oder in vermeintlicher Israelkritik. "Antisemitismus hat seine Sprache verändert, aber nicht seine Botschaft", sagte sie. "Was als Witz beginnt, kann morgen Gewalt rechtfertigen." Erinnerung, so Pagin, müsse wehtun dürfen. "Nie wieder darf Erinnerung nur Ritual sein."

Musikalisch begleitet wurde die Mahnwache von Roman Kuperschmidt an der Klarinette. Für einen Moment der Besinnung sorgte Pfarrerin Karin Klodt von der evangelischen Kirchengemeinde. Sie las aus dem 16. Psalm und sprach über das gemeinsame Erinnern von Juden und Christen. "Wir stehen heute Seite an Seite, im Gedenken, im Gebet und in der Hoffnung, dass sich Geschichte nicht wiederholt", sagte sie.

Jugendliche der evangelischen Kirchengemeinde verlasen anschließend die Namen der Flörsheimer Opfer der Shoah. Zum Abschluss sprach Kantor Benjamin Maroko das Kaddisch, das jüdische Totengebet. Er erinnerte daran, dass Respekt mit dem Gedenken beginne. "Wer die Würde der Toten nicht achtet, hat auch keinen Respekt vor den Lebenden", sagte er. Der Schutz jüdischen Lebens, so Maroko, sei Aufgabe der gesamten Gesellschaft, "nicht durch Mauern, sondern durch Menschlichkeit und Solidarität".

Als die letzten Kerzen niederbrannten, wurde das Gedenken zu einem stillen Zeichen gegen das Vergessen und ein Aufruf, Antisemitismus in jeder Form entschieden entgegenzutreten.

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