Am Donnerstagabend füllte sich der historische Saal der Alten Kirchschule mit gespannter Erwartung. Nach dem Steh-Empfang begrüßte Organisatorin Gabriele Bock die Gäste, ehe Bürgermeister Bernd Blisch souverän durch das Programm führte. Den rhetorischen Höhepunkt lieferte der frühere Frankfurter Wirtschaftsdezernent Markus Frank: „Der Speckgürtel ist längst mehr als eine Schlafstadt. Hier entstehen Innovationen, die die Industrie braucht“, lobte er in seiner Laudatio und würdigte die Preisträger als „technologiebegeisterte Macher, die Digitalisierung leben, statt nur darüber zu reden.“
Es war die vierte Auflage des Wettbewerbs, doch von Routine keine Spur: „Ein echtes Foto-Finish! So viele herausragende Bewerbungen hatten wir noch nie“, betonte Bock. Rund 40 Start-ups aus den sechs Speckgürtel-Landkreisen, darunter drei aus Flörsheim, reichten ihre Konzepte ein, bevor eine zwölfköpfige Jury, erstmals unterstützt durch frühere Preisträger, die Gewinner kürte.
Den Hauptpreis samt 3 000 Euro nahm das Friedberger Trio Nils Becker, Sebastian Frank und Heiko Schmidt entgegen. Ihr Unternehmen TMX Solutions entwickelt modulare Mess- und Prüfsysteme, etwa ein hochpräzises Bremswegmess-Setup für Schienenfahrzeuge. Die Jury überzeugten insbesondere die kundenspezifische Fertigungstiefe und der klare Skalierungsplan für mehrere Industriezweige.
Marvin Pees aus Rodgau holte mit Elektro Pees Rang 2 und 2.000 Euro Preisgeld. Der junge Elektromeister positioniert seinen Betrieb als Komplettdienstleister für Photovoltaik-Nachrüstungen, Wallbox-Installationen und Smart-Home-Automatisierung. Sein Versprechen: „Präzise. Verlässlich. Fortschrittlich“ deckt sich mit dem Juryurteil, dass regionales Handwerk und erneuerbare Energien keine Gegensätze mehr seien..
Mit „Wollensittich“ brachte Manuela Sittig nicht nur Farbe, sondern auch traditionelles Handwerk aufs Podest und erhielt dafür 1.000 Euro Preisgeld. In ihrem „Wollwohnzimmer“ an der Frankfurter Straße 7 in Kriftel verkauft sie handgefärbte Naturgarne, bietet Strick-Workshops an und streamt Färbe-Sessions für eine wachsende Online-Community. Dabei verwandelt sie aussortierte Naturgarne, Musterreste aus Spinnereien und Second-Hand-Strick in neue, hochwertige Accessoires – von federleichten Sommerschals bis hin zu „Zero-Waste-Beanies“. Damit trifft sie gleich zwei zentrale Bedürfnisse der Branche: Nachhaltigkeit und individuelle Handwerkskunst. Dass ein Wollgeschäft beim Gründerpreis mit innovationsgetriebenen IT- oder Elektrotechnik-Firmen mithalten kann, bezeichnete Laudator Markus Frank als „ermutigendes Signal dafür, dass Kreislaufwirtschaft nicht nur in großen Fabrikhallen funktioniert“.
Die Wollfachgeschäft beweise, so die Jury, dass „Micro-Retail“ skalieren kann, wenn er stationären Charme und digitale Reichweite verbindet. Mit der Bronze-Trophäe für Wollensittich zieht ein kreatives Einzelhandwerkskonzept aufs Podest – ein Signal, dass Innovation nicht nur in Laboren und Werkhallen, sondern auch in Farbtöpfen und Stricknadeln entsteht.
Den mit 1 500 Euro dotierten Sonderpreis für gesellschaftlichen Mehrwert nahm Justus Kallmeyer stellvertretend für das Team des Heusenstammer Geschenkbaums entgegen. Die Initiative erfüllt seit 2023 Weihnachtswünsche sozial benachteiligter Menschen; mehr als 1 200 Geschenke im Wert von rund 60 000 Euro wurden bislang vermittelt.
Der 3. Juli dürfte damit zum Stoff einer eigenen Stricklegende werden, denn selten hat ein Faden, der in Kriftel gesponnen wird, so viele Menschen im Rhein-Main-Speckgürtel miteinander verknüpft. Und während TMX Solutions mithilfe von Sensorik die Bremswege von Zügen verkürzt, verkürzt Wollensittich künftig vielleicht die Wartezeit aufs nächste Handarbeitsprojekt – Masche für Masche.
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