Bei Kitaplätzen und Schulangebot stadtreif

Landeskabinett stimmt Antrag Ginsheim-Gustavsburgs von 2011 zur Stadterhebung zu

GINSHEIM-GUSTAVSBURG (gus) – Wie die Nachricht des Jahres, ja vielleicht des Jahrzehnts für Ginsheim-Gustavsburg lautet, ist seit voriger Woche bekannt. Sie genau zu datieren, fällt hingegen noch schwer. Die bisherige Doppelgemeinde an Main und Rhein darf Stadt werden, hat das hessische Kabinett am Mittwochabend vergangener Woche beschlossen. Nun läuft die Suche nach einem Termin für die feierliche Zeremonie mit Innenminister Boris Rhein (CDU). Wie aus dem Rathaus zu hören ist, wird es auf einen schönen Frühlingstag im späten April oder im Mai hinauslaufen, am dem die Gemeinde durch die offizielle Urkundenübergabe zur 191. hessischen Stadt erhoben wird.

 

Die Stadtwerdung bricht über Ginsheim-Gustavsburg nicht ganz unvorbereitet herein, auch wenn das Rathaus vom Zeitpunkt des Kabinettsbeschluss offenbar überrascht wurde. Im November 2011 wurde die politische Diskussion über eine aktive Bewerbung der Gemeinde um die Aufwertung mit einem positiven Votum der Gemeindevertretung abgeschlossen. Die Freien Wähler und zwei CDU-Fraktionsmitglieder stimmten gegen den Antrag.
Die Landesregierung, die in den vergangenen Jahren nicht mehr allzu häufig mit einem solchen Begehren zu tun hatte (zuletzt ging es 2007 um Riedstadt), ließ seither die Angaben der Ginsheim-Gustavsburger prüfen, denn behaupten kann man ja Vieles. Und mancher Gustavsburger, vor allem aber alteingesessener Ginsheimer wird sich zugegebenermaßen schön wundern über die Nachricht aus Wiesbaden. Wir eine Stadt?
Besonders im alten Ginsheimer Ortskern wird doch der dörfliche Charakter der Häuserzeilen und Gassen so gerne hervorgehoben, das Image der urigen statt urbanen Lebensweise gehegt und gepflegt. Zusammen mit der geografischen Nähe zu den vier Großstädten im Westen und Osten lässt es sich als „nur“-Gemeindebürger doch ganz gemütlich und dennoch ans moderne Leben angebunden leben – aber bitte eben dörflich-idyllisch.
Ob die Gemeinde genügend urbanen Flair ausströmt um sich mit Fug und Recht Stadt nennen zu können, diese Frage war in der Tat auch der, wenn auch einzige wunde Punkt, als die Verwaltung die Überlegungen anstellte, ob man die Stadtrechte beantragen soll. Denn nichts wäre schlimmer gewesen als auf den Antrag aus Wiesbaden eine Antwort im Tenor, „Lasst's mal gut sein, ihr Dörfler“ zu erhalten.
Warum eine dörflich-ländliche Identität nicht im Widerspruch stehen muss zur Stadtwerdung, ist einer der Punkte, die die Gemeindeverwaltung in ihrem erläuternden Artikel auf Seite drei dieser Ausgabe des Lokal-Anzeigers schildert. Ein Besuch in den Ortsteilen, aus denen sich die Stadt Riedstadt zusammensetzt, wird Zweiflern zumindest zur Erkenntnis verhelfen, dass für die Landesregierung der in den Gassen tanzende Bär 2007 nicht das entscheidende Kriterium für die Verleihung der Stadtrechte gewesen zu sein scheint.
Im Baugebiet Ginsheim-Nord hat die Gemeinde in den vergangenen Jahren bewusst eine Entwicklung zu mehr Urbanität forciert, indem entlang der Bouguenais-Allee ein eher kleinstädtisch denn dörflich wirkendes Wohngebiet entstand. Die Schwierigkeiten beim Etablieren der Geschäftszeile in der Bouguenais-Allee und die kaum abzustreitende Ignoranz der Anwohner gegenüber den ihnen zugedachten Treffpunkt Ballou-Platz sind – so traurig es sein mag – eher Zeichen dafür, dass sich hier städtisch orientierte Neubürger angesiedelt haben. Vielen sind die nahen Autobahnauffahrten wichtiger als das ähnlich nahe Rheinufer – Städter eben.
Zusammen mit der industriellen Prägung in Teilen Gustavsburgs sowie einem Flächenangebot in den Gewerbegebieten, das jenem der städtischen Konkurrenten in nichts nachsteht, ergibt sich ein Bild: dass die Struktur der Gemeinde jener der Städte vergleichbarer Größe in der Region in nichts nachsteht. Der positive Bescheid aus Wiesbaden ist daher nicht überraschend. Der Innenminister hob in seiner Begründung zudem den Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Stellen in der Gemeinde in den vergangenen Jahren – zwischen den Jahren 2000 und 2010 um rund 40 Prozent – sowie die ausreichenden Angebote an Kinderbetreuungsplätzen und das breite Schulangebot in der Gemeinde als stadtreife Leistung Ginsheim-Gustavsburgs hervor.
Nicht gut angekommen ist im Rathaus, wie sich der Hessische Rundfunk in beachtlich kurzer Reaktionszeit, aber eben sichtbar ohne länger nachzudenken schon am vergangenen Donnerstag dem Thema in der Hessenschau widmete. Vielleicht müssen die Ginsheimer als Stadtbürger noch lernen, nicht ohne Arg in jedes Mikrofon hineinzuschwätzen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Aber auch Bürgermeister Richard von Neumann hätte wissen müssen, dass Rathauschefs, die im Amtszimmer sitzend kleine gelbe Ortsschilder vor der Kamera von links nach rechts schwenken, nicht städtisch rüberkommen.
Erstaunt, vielleicht auch beruhigt mögen die Bürger feststellen, dass eine Stadtwerdung für ihr praktisches Leben so gut wie keine Bedeutung hat. Alle Verordnungen und Satzungen gelten weiter, nicht einmal großartige Verwaltungskosten fallen an. Nur für die Aktualisierung von zwei der sieben Ortseingangsschilder etwa ist die Gemeinde finanziell zuständig: das eine steht an der Ginsheimer Landstraße, das andere an der Zufahrt zum Gewerbegebiet Am Kupferwerk. Die restlichen fünf Schilder stehen auf Kreis- und Landstraßen.
Bleibt der Blick auf die einsam zurückbleibende kleine Schwester in Osten, die Gemeinde Bischofsheim. Natürlich hat Bürgermeistern Ulrike Steinbach ihrem Amtskollegen und Parteifreund artig zu dem Erfolg gratuliert. Für ihre Gemeinde besteht keine Chance nachzuziehen, es sei denn das Land senkt irgendwann die Untergrenze von 15.000 Einwohnern. Es stellt sich die Frage, ob die Stadtwerdung Ginsheim-Gustavsburgs nicht der viel beschworenen interkommunalen Zusammenarbeit abträglich ist, und was unter den neuen Bedingungen von den Fusionsüberlegungen übrig bleibt. Die klare Antwort ist, dass es ganz genau wie jetzt allein vom Willen der Verwaltungen und der örtlichen Parlamente abhängt, was sich hier entwickelt. Zwar verhandeln beide Kommunen nun nicht mehr auf einer Ebene, dennoch wird etwa die Bildung einer Stadt Mainspitze eher erleichtert, wenn einer der Fusionspartner schon den Stadtstatus hat.
Da Bischofsheim mit seinen über 12.000 Bürgern bei einer Fusion den größten der drei Ortsteile bilden würde, ist auch kaum davon auszugehen, dass der Zusammenschluss über eine klassische Eingemeindung Bischofsheims abliefe. Die Finanzlage der Stadt wie der Gemeinde wird durch die Entwicklung zunächst einmal nicht beeinflusst. Sollte sich aber die Hoffnung der Ginsheim-Gustavsburger erfüllen, die die eigentliche Motivation für den Antrag der Stadtwerdung war, könnte sich das erschwerend auf eine Annäherung auswirken. Sollten sich zahlungskräftige Unternehmen vom Stadtstatus Ginsheim-Gustavsburgs wirklich beeindrucken lassen und verstärkt auf den Gewerbeflächen der Gemeinde aufschlagen, könnten die steigenden Gewerbeeinnahmen den Graben zwischen den Hochzeitskandidaten vergrößern. Kaum anzunehmen, dass sich ein finanziell gesundetes Ginsheim-Gustavsburg ein immer noch danieder liegendes Bischofsheim ans Bein bindet.

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