„Lissi“ weinend zu Grabe getragen

Nachkerb 2016: Für 1200 Liter Apfelwein wechselte die Kerb zum rot-gelben Vizejahrgang

Mit einem großen Abschlussfeuerwerk fand die Kerb 2016 am Sonntagabend ein Ende. Kerbebopp „Lissi“ wurde den Flammen übergeben und Kerbeborsch und Kerbemädchen trauerten der schönen Zeit nach.
(Fotos: R. Dörhöfer)

FLÖRSHEIM (drh) – Mit einem fulminanten Großfeuerwerk endete die Flerschemer Kerb 2016 am Sonntagabend, 23. Oktober. Pyrotechniker Mario Kern hatte sich eine bunte Kombination an Licht- und Knalleffekten überlegt und mit sogenannten „Knalltöpfen“ einen spektakulären Feuerwerksabschluss gesetzt. „Über die Unvernunft mancher Bürger kann ich jedoch nur den Kopf schütteln“, sagte der Feuerwerksexperte, der trotz Absperrmaßnahmen immer wieder Personen aus dem Abschussbereich verweisen musste. „Frech werden sie dann auch noch“, so Kern. 

Vor dem Feuerwerk hatten die Kerbeborsch noch ihre Kerbepuppe „Lissi“ zu Grabe getragen. Weinend und klagend verabschiedete sich der Jahrgang von ihrer Kerbebopp, der sie gar ein eigenes Holzkreuz gefertigt hatten. Am Vorabend war Lissi noch als Pfand beim Verkauf der Kerb gehandelt worden. Für 1.200 Liter Apfelwein wechselte die Kerb zum rot-gelben Vizejahrgang. In einem kurzen Schlagabtausch handelte Vizevadder André Köhn die geforderten 10.000 Liter runter. Der fehlende Kerbekaffee wurde ebenso ins Feld geführt wie eine mangelnde Trinkfestigkeit der Kerbeborsch. Kaum hatten sich die Kontrahenten auf den Preis geeinigt, gaben sich auch die kommenden Vize laut grölend zu erkennen, sodass der Fortgang des Brauchtums im kommenden Jahr gesichert ist. „Unser Kerbevadder ist quasi ein Kerbekind“, meinten die Jahrgangskollegen von André Köhn, dessen Eltern sich einst an Kerb vor 30 Jahren kennenlernten, als Vater Michael selbst ein Kerbeborsch war.

So freute sich Mutter Sandra Köhn auch besonders über die Ehre, mit ihrem Sohn André den Nachkerbetanz eröffnen zu dürfen. Bei den meisten jungen Burschen glich die Schrittkombination beim Walzertanzen zwar noch eher der Umrundung eines Bierkastens, doch stolz waren sie allemal. „Das Kerbeborschdasein prägt. Das ganze Organisieren ist neu für uns, man lernt viel dabei“, sagen die Vorstandsmitglieder Vincent Herzog und Joshua Schreiber. Gerade die Verwaltung der Finanzen und das Abschließen von Verträgen sei eine Herausforderung. „Ohne entsprechende Kontakte läuft gar nichts. Gut, dass uns die Exe beraten und helfen“, so Herzog.

Nach einer durchfeierten Nacht besuchten Vize- und Kerbeborsch den Sonntagsgottesdienst. Pfarrer Sascha Jung hatte im Kerbegottesdienst von „Herz über Kopf“ gesprochen, zeigte in seiner Predigt am Nachkerbesonntag jedoch, dass es auch gefährlich sein kann, wenn alle Rationalität bei Seite geschoben wird und sich der Mensch ganz allein von Emotionen leiten lasse. Jung übte Kritik am TV-Drama ‚Terror – Ihr Urteil‘, denn das am Ende emotional gefällte Urteil der Fernsehzuschauer stehe im Widerspruch zum Grundgesetz der Bundesrepublik. In Zeiten wo Selbstjustiz en vogue sei, sei es in den Augen Jungs brandgefährlich, derartige Fernsehfilme zur Urteilsbildung der Menschen auszustrahlen. Einzig und allein den Emotionen zu folgen, wenn ein Urteil zu fällen sei, schüre das Risiko des Irrtums. Jesus mahne im Evangelium die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst an. Der Mensch solle sich nicht über andere erheben, wenn es dafür keine Gründe gäbe. Zugleich mahne Jesus auch, beim Urteilen genau hinzuschauen, um ein differenziertes Urteil zu bilden. Schließlich müsse der Mensch auch prüfen, ob er sich aufgrund seines persönlichen Daseins und Menschseins überhaupt erlauben dürfen, über andere zu urteilen. Sich ein Urteil bilden zu können, schließe nicht automatisch das Recht ein, ein Urteil fällen und aussprechen zu dürfen. Soziale Medien, die Presse und mündliches Weitertragen von Person zu Person schürten die sich häufenden Vorverurteilungen.

Jung fand in seiner Predigt konkrete Bezugspunkte zum aktuellen Geschehen in Flörsheim und traf bei manchem Kirchgänger einen wunden Punkt. Das Verhalten vieler Flörsheimer Kommunalpolitiker nutze beispielsweise in keinster Weise dem Wohle der Stadt und auch bei der nicht einfachen Situation in der evangelischen Gemeinde werde in allen Ecken der Stadt schon eifrig geurteilt, ohne dass einer überhaupt Fakten in der Hand habe. Eine Situation, die für Pfarrer Hanauer nur schwer zu ertragen sei. Sascha Jung sprach auch seine persönliche Situation an. Auch er sei über manch Urteil zu seiner Person erstaunt, werfe man ihm doch Karrieregeilheit und halbherziges Handeln in Flörsheim vor. „Sagen das nur diejenigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt sind, oder auch die anderen?“, fragte Jung in die Runde der Gläubigen. Ein Urteil, so fordere es das Evangelium, dürfe nie der Verachtung dienen, sondern nur einem aufrichtigen und ehrlichen Miteinander, dem Verständnis füreinander mit Herz und mit Kopf.

Die Flörsheimer Vizeborsch 2016 sind Kerbevadder André Köhn, 1. Vorstand Joshua Schreiber, Kassenwart Vincent Herzog, Fred Voß, Jannick Flackes, Joel Klau, Lucas Ochs, Leon Nikolic, Luis König, Niklas Scholz, Ole Treber und Thimo Fey.

 

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