Essen wie zu Hause

Seit einem Jahr gibt es das Projekt „Gemeinsam kochen, gemeinsam essen“ im Haus St. Martin

Projektleiter Frank Dußler (links) ist – genau wie alle Gäste – sehr zufrieden mit dem Koch-Team von „Gemeinsam kochen, gemeinsam essen“ im Haus St. Martin: Roland Göth (mitte) und Erhard Scherfer.
(Foto: A. Kreusch)

HATTERSHEIM (ak) – Seit gut einem Jahr wird es jeden Mittwoch um die Mittagszeit voll im Gemeinschaftsraum des Hauses St. Martin. Nicht nur viele Wohnsitzlose, die an diesem Tag ihr Tagesgeld im Büro dort abholen können, sondern auch einige Bürger aus Hattersheim nehmen dann gerne an den dort gedeckten Tischen Platz, schnuppern die Düfte aus der kleinen Küche nebenan und freuen sich schon auf ein gutes Mittagessen. 
 

Dort wirken schon seit der Frühstückszeit Roland Göth und Erhard Scherfer, und wenn es seine Zeit erlaubt, hilft auch Projektleiter Frank Dußler. „Außerdem wird er immer mit dem Probieren gequält“, lacht die Küchenmannschaft freundlich. „Gemeinsam kochen, gemeinsam essen“ heißt das Projekt in der Caritas-Facheinrichtung für Wohnsitzlose am Hattersheimer Autoberg, und es findet immer dann statt, wenn sich unter den „Essern“ auch solche finden, die bereit, sind zu helfen. „Dabei geht es dann aber eigentlich nur um das Abräumen, Aufräumen und sauber machen – wie eben in jeder Küche“, erklärt Roland Göth, „wir fragen immer vorher, wer dazu bereit ist, und meistens findet sich da auch jemand. Wenn nicht, dann wird auch nicht gekocht, aber das ist äußerst selten.“ 

Göth ist der Chef in der Küche, er ist gelernter Koch und er hat auch die Ideen dazu, was auf den Speiseplan kommt. „Ja, das wäre doch schlecht, wenn ein Koch keine Ideen hätte, was man mal essen könnte“, schmunzelt er, „ich gucke oft vorher schon nach den Angeboten im Supermarkt, damit die Kosten im Rahmen bleiben, es soll ja nicht so teuer werden.“ Einen Euro zahlt jeder, der mitessen möchte. Anspruchsvolle, gehobene Hausmannskost wird gekocht, bei der aber auch Portionen herauskommen müssen, die satt machen. „Das ist mehr ein symbolischer Betrag, den auch eigentlich jeder hier aufbringen kann“, erklärt Göth und gleich kommt eine Anfrage von draußen, was man denn mit dem einen Herrn machen soll, der heute keinen Euro dabei hat. Aber auch der bekommt eine Portion vom Kalbsrollbraten mit Blumenkohl und Schupfnudeln, alles wird großzügig auf die Teller verteilt, ganz wie zu Hause. Und dass solch ein Essen nicht nur bei Wohnsitzlosen, sondern auch bei den Hattersheimern, die alleine leben und für die solche Menüs einfach dann zu groß (vielleicht auch zu teuer) sind, Anklang finden, kann man sich gut vorstellen. „In den Blumenkohl könnte ich mich reinlegen“, wird das Essen von den Gästen draußen gelobt, während Roland Göth in seiner weißen Kochschürze den zweiten knusprigen Rollbraten aus dem Ofen holt, in saftige Scheiben schneidet und Schupfnudeln aus der Pfanne greift, um sie auf den Tellern anzurichten. 

Niemand redet Göth hier beim Kochen rein. Erhard Scherfer, der mittwochs das Frühstück für die Gäste des Hauses St. Martin vorbereitet, übernimmt lediglich die „Schnippelarbeiten“ wie an diesem Tag den Blumenkohl, den er dann auch fertig aus dem großen Topf auf die Teller schöpft, bevor er sie an die in der Schlange stehenden Gäste übergibt. „Er ist ja mit sich selbst schon streng genug“, findet Scherfer, „und die Kenntnisse, die er hat, die hab‘ ich ja überhaupt nicht.“ Roland Göth und Erhard Scherfer arbeiten ehrenamtlich im Haus St. Martin. 

Auch der Koch kam wegen vorübergehender Wohnungslosigkeit ins Haus St. Martin. „Klaus Störch hat mir geholfen“, sagt er heute über den Leiter der Facheinrichtung für Wohnungslose in Hattersheim. Nachdem er längere Zeit wegen einer Blutvergiftung und seinem Diabetes im Krankenhaus war, musste ihm ein Fuß bis zum Unterschenkel amputiert werden. „Meine erste Anlaufstelle nach der Reha war hier, das war im September 2015“, erinnert er sich, „da konnte ich noch nicht wieder in meine Wohnung, und Klaus Störch habe ich schon aus der Teestube in Hofheim gekannt, dort hatte er mir schon mal in so einer Situation geholfen.“ Göth kommt eigentlich aus Mainz, er hat lange in Okriftel gewohnt und später in Hattersheim. Er hat eine abgeschlossene Ausbildung als Koch, später hat er als Brandschutzhelfer gearbeitet, zu seinem ehemaligen Chef hatte er bis zu dessen Tod im letzten Jahr noch immer ein gutes Verhältnis. „Beim Barfußlaufen habe ich mir den Fuß verletzt, da wusste ich noch nichts von meinem Diabetes und dass so was dann so ausarten kann. Und dann habe ich viel zu lange gewartet. Ich bin erst zum Doktor gegangen, als ich nicht mehr aufstehen konnte, bin buchstäblich auf allen vieren gekrochen damals“, erzählt Roland Göth, „im Schifferkrankenhaus haben die zwar noch versucht, meinen Fuß zu retten, aber da war nix mehr zu machen.“ Nach der Reha konnte er nicht in seine Wohnung zurück, weil dort noch die Keime bekämpft werden mussten. „Da war ich dann eine Zeit lang im Haus St. Martin zur Übernachtung, ich wusste ja nicht wohin, habe Klaus Störch gefragt und er hat okay gesagt“, schildert er, „später bin ich dann zum Frühstück hergekommen, damit mir die Decke nicht auf den Kopf fällt und damit ich in Bewegung bleibe, da hat man mich wegen des Projekts angesprochen. Das macht mir viel Spaß, wenn ich die Leute hier sehe, wie ihnen mein Essen schmeckt.“ Er kann noch immer keine längeren Strecken laufen. „Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich nicht noch mal ins Krankenhaus muss – das Projekt hier könnte so weitergehen, immer vorausgesetzt, es ist jemand da, der mithilft!“

Erhard Scherfer hat auf ganz andere Weise den Weg ins Haus St. Martin und zum Kochprojekt gefunden. „Seit einiger Zeit bin ich jetzt pensioniert, und erst habe ich auch nur privatisiert und meine Kunst gemacht“, erzählt der Studiendirektor im Ruhestand, der auch als Fotograf und Künstler bekannt ist, „aber irgendwann habe ich festgestellt, dass ich auch meine Zeit in die Gemeinschaft einbringen kann.“ So ist er auch in Langenhain im Förderverein für die evangelische Kirche engagiert. „Dass ich als Evangelischer hier bei der Caritas mitmache, ist wohl gelebte Ökumene“, meint er schmunzelnd dazu. Seit fast drei Jahren hilft er ehrenamtlich im Haus St. Martin, er macht nicht nur das Frühstück, sondern auch oft mal Einzeldienste wie Arztfahrten, Fahrten ins Krankenhaus oder Einkaufsfahrten für die Facheinrichtung. „Kennengelernt habe ich das Haus St. Martin, als ich eine Spende meiner Männer-Sportgruppe, der „Borzeler“ in der TGS Langenhain, zu überbringen hatte“, erinnert er sich, „Klaus Störch hat mich durch das Haus geführt, sein Doppelengagement in Sachen Kunst, Kultur und für Wohnsitzlose hat mich besonders angesprochen. Da hatte ich gleich das Gefühl: Hier kann ich mich gut einbringen.“ Auch Erhard Scherfer hat inzwischen mit großem Erfolg im Haus St. Martin ausgestellt.

„Uns macht das Kochen immer Spaß. Wenn es den Herrschaften draußen schmeckt, das ist unsere Anerkennung“, sind Göth und Scherfer einig. Die Gäste seien zum großen Teil schon Stammpublikum, aber manchmal bleibe auch jemand, weil er sieht, was gekocht wird. Ein „Vabanque-Spiel“ ist es manchmal, wie viel eingekauft werden muss, damit alle satt werden, aber auch nicht zu viel übrig bleibt. „Mal sind an die 30 Leute da, mal aber auch nur acht“, berichtet Roland Göth, „wir rechnen immer so mit 15 bis 20 Gästen – in den kalten Monaten sind es aber eher mehr.“

Unter denen, die zu diesem Stammpublikum gehören, ist man sich einig und es wird unisono gelobt: „Roland ist ein sehr guter Koch, einfach super, genial!“ Das sind die besten Voraussetzungen dafür, dass es das Kochprojekt im Haus St. Martin noch lange geben wird.
 

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